Überall Nazis

 

"Okay. Ich bin ein Nazi."

Lars von Trier

 

In Deutschland gehen die Wogen hoch. Die AfD zieht demnächst in den Bundestag ein. Der heftige Widerstand gegen die rechtskonservative Sammelbewegung ähnelt einer Phobie - und ist hochgradig kontraproduktiv. Plötzlich ist jeder ein Nazi, der nicht auf der linksliberalen Linie liegt. Was die echten Extremisten freut.

 

Während ich dies schreibe, wird in Deutschland der neue Bundestag gewählt. Es ist so gut wie sicher, dass die AfD zweistellig in die neue Regierung einziehen wird. Entsprechend aufgeheizt ist das Klima. Wenn man die Pressemeldungen verfolgt, könnte man denken, dem Land drohe ein Umsturz. Die linksliberale Machtfraktion malt den Teufel an die Wand - und spannt zugleich den Teufel für sich ein. Die Antifa, eine Art linker SA-Truppe, hat sich schon vor dem Wahlkampf fanatisch auf die AfD eingeschworen, den Hauptfeind des deutschen Establishments. Mit den ewiggleichen stumpfen Parolen ("Nazis raus!") attackiert der pseudo-linksradikale Pöbel alles, was mit der AfD zu tun hat. Das Problem, das ich als Marx-Fan und (nichtpraktizierender) Anarchosyndikalist mit der Antifa habe, ist ihre Hirnlosigkeit. Sie hält sich für systemkritisch und lässt sich zugleich von den reichen und mächtigen Systemlingen einspannen. Wäre die Antifa wirklich linksradikal, müsste sie die AfD unterstützen und gegen das Establishment kämpfen. Und vor allem müsste sie auf staatliche Zuschüsse verzichten. (Allein in München sind es etwa 149'000 Euro pro Jahr, die an Antifa-Vereine überwiesen werden). Anstatt sich gegen den Staat zu stellen, was man von einem anständigen Linksextremisten eigentlich erwarten dürfte, verteidigen diese mehrheitlich aus der Upperclass stammenden Wohlstandskids  - eher nützliche Idioten als Rebellen - den bewegungsunfähigen Machtblock, der in Deutschland regiert, und bekämpfen dessen einzige vitale Opposition. Verwüstete Büros und angezündete Autos gehören für AfD-Politiker zum Alltag. Auch tätliche Übergriffe sind schon vorgekommen. Die deutschen Medien halten sich diesbezüglich auffallend zurück. In anderen Bereichen wiederum erlebt man derzeit eine Empfindlichkeit, die an Irrationalität kaum zu überbieten ist. Wenn es darum geht, die AfD zu dämonisieren, sind scheinbar alle Mittel erlaubt. Als wäre die AfD der rechte Mongolensturm, vor dem Franz Josef Strauss gewarnt hat, ausgerechnet Franz Josef Strauss, für den die AfD wahrscheinlich ein linker Sauhaufen gewesen wäre. Rechtsextrem ist die AfD mitnichten. Sonst wäre sie verboten. Trotzdem vergeht kein Tag, ohne dass die AfD mit den Vokabeln "rechtsextrem" oder "Nazis" in Verbindung gebracht wird. "Chauvinistisch", "rassistisch" und "menschenverachtend" sind die nächsthäufigen Schmähungen, die gegen die AfD abgefeuert werden. Und nicht zu vergessen die linksideologische Allerweltsvokabel, das Stigmatisierungsetikett schlechthin: "faschistisch" oder "faschistoid". Die orchestrierte Hetze umfasst Spiegelkolumnen und Talkshows, Nachrichtensendungen und Expertenkommuniques. Sogar auf dem Kinder-Kanal "Kika" entblödet man sich nicht, die Kritiker der Flüchtlingspolitik als "Nazis" zu verunglimpfen. Man redet von "Dunkeldeutschland" und meint damit die Grossmutter, die am Rollator bei Pegida demonstriert und ihr demokratisch verbürgtes Stimmrecht dazu "missbraucht", die AfD zu wählen. Und Frauke Petry, die eigentlich gar nicht so unsympathische Chefin der AfD, trägt zu allem Unglück auch noch einen schnittigen Scheitel, für Karikaturisten natürlich ein gefundenes Fressen. Und das Wortspiel "Heil Petry!" liefert dann auch noch die passende verbale Pointe. Mit wenigen Ausnahmen stehen die etablierten Medien auf einer einzigen taktischen Linie: aus vollen Rohren gegen die AfD, den neudeutschen Inbegriff des Bösen. Eine sachliche Auseinandersetzung findet kaum statt.

 

Das Ganze hat natürlich eine Vorgeschichte. Seit dem Herbst 2014 gibt es in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationsumzüge gegen "die Islamisierung des Abendlandes", und nach der umstrittenen Grenzöffnung von 2015 hat sich die Situation noch weiter verschärft. Auf beiden Seiten einer zerrissenen Gesellschaft wächst die Radikalisierung. Zwischen der rechtsterroristischen Gruppe Freital, die Sprengsstoffanschläge auf Asylantenunterkünfte verübt, und der militanten Antifa, die im "Kampf gegen Rechts" zu einer faschistischen Schlägerhorde mutiert, gibt es scheinbar nur noch die Wahl zwischen Teufel und Belzeebub. Das Fatale ist nun, dass das politische Establishment unablässig daran arbeitet, den Extremisten und Kriminellen auf beiden Seiten Zulauf zu verschaffen. Für die Rechtsextremen gibt es keine bessere Werbung als ein ideologisch überzogener "Kampf gegen Rechts", der angesichts von rasant wachsenden muslimischen Parallelgesellschaften und einer ungesteuerten und realitätsfremd begrüssten Masseneinwanderung in die Sozialsysteme wie ein Ablenkungsmanöver wirkt. Und die Linksextremen ihrerseits profitieren von einem Staat, der seine Demokratiedefizite und seinen Feudalkapitalismus mit einer verlogenen Political Correctness verbrämt. "Wehrhafte Demokratie" bedeutet eben nicht, dass man jedem Regierungskritiker und Rechtskonservativen auf die Fresse haut. Die AfD ist hier nur ein Sprachrohr unter vielen. Der Überbringer einer unbequemen Botschaft. Und der kommt nun logischerweise unter Beschuss. Umso mehr, als er durch "Volkes Wille" (ein deutsches Schreckenswort!) in die Regierung gehievt wird. Die Botschaft indessen hört man nicht - und will man auch gar nicht hören. Und so sieht sich die AfD in einem Ausmass diffamiert und angegangen, wie das in der Parteienlandschaft der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nie vorgekommen ist.

 

Dazu kann ich als neutraler Beobachter aus der Schweiz nur Folgendes sagen: beruhigt euch, ihr Deutschen! Über Deutschland weht noch lange nicht die Reichkriegsflagge. Alles, was die AfD einfordert, ist die Rechtsstaatlichkeit des Rechtsstaates. "Alle Rechtssysteme sind im Nationalstaat verankert. Wer Recht will, muss den Nationalstaat erhalten wollen." Diese Aussage von Peter Sloterdijk könnte auch von der AfD stammen. Die AfD ist keine fremdenfeindliche Partei, sondern eine schon lange fällige politische Opposition, die zum Beispiel darauf beharrt, dass die Unterschiede zwischen Migration, Asyl und subsidiärem Schutz gesetzeskonform beachtet werden, wie auch darauf, dass Grenzkontrollen unumgänglich sind, wenn ganze Völkerstämme ins Land einfallen. Das Unglück, das hier seinen Lauf genommen hat, ist nicht allein auf die Problematik der offenen Grenzen zurückzuführen. Oder auf Merkels Eigenmächtigkeit in einer durchaus kritischen Situation. Es wurzelt tiefer. Es fängt schon damit an, dass die Deutschen aus dem Begriff "Flüchtling" eine moralische Allerweltsepistel gemacht haben, die den eigentlichen (und auch völkerrechtlich definierten) Sinn des Wortes verfälscht. Wer seine Heimat verlässt, um anderswo ein besseres Leben zu suchen, ist kein Flüchtling. Diesem Sprachmissbrauch leistet die AfD Widerstand, indem sie klarstellt, dass nicht jeder Flüchtling ein Flüchtling ist. Und dass im umgekehrten Fall ein echter Flüchtling nicht als Migrant und Integrationsaufgabe behandelt werden sollte. Was in Deutschland schon als rassistisch gilt. Mit ihren Präzisierungen tritt die AfD von einem Fettnäpfchen ins andere. Daran sieht man, wie schwierig es in Deutschland geworden ist, eine vernünftige Politik zu machen, eine Politik, die sich nicht dem linksgrünen Rigorismus beugt, der natürlich kein rein deutsches Phänomen darstellt, aber in Deutschland, bedingt durch die Last der Nazi-Vergangenheit und die latent weiterexistierende Stasi-Mentalität (etwa im "Volkserziehungsauftrag" der berüchtigten Amadeo Antonio Stiftung, die als ideologischer Ableger der DDR vor allem im Osten abgrundtief verhasst ist) einen totalitären Beigeschmack hat und bis weit ins bürgerliche Lager hineinreicht. Dem fadenscheinigen Bemühen, Flüchtlinge zu integrieren, erteilt die AfD eine klare Absage. Flüchtlinge verdienen Schutz, soweit hat die AfD mit der Asylpraxis kein Problem. Aber die Integration Tausender offiziell und formaljuristisch nur vorübergehend aufgenommener Menschen hält die AfD für humanitäre Schindluderei. Damit vertritt die AfD - in Opposition zu einer Regierung, die ganz offensichtlich eine verdeckte Umsiedlungspolitik betreibt - das Völkerrecht. Hier punktet die AfD umso mehr, als überhaupt nicht einsehbar ist, weshalb Kriegsvertriebene nicht von ihren Nachbarländern aufgenommen werden können und mit falschen Anreizen auf gefährliche und beschwerliche Routen und durch sichere Drittstaaten gelockt werden - und weshalb die UNO und die EU (und insbesondere auch die deutsche Regierung) die Finanzierung der Flüchtlingslager und die Lebensmittelversorgung vor Ort kappen, um damit eine Völkerwanderung auszulösen. Dass die Merkel-Regierung in dem ganzen Schlamassel auch noch die Abmachungen von Schengen und Dublin - das vermutlich einzige Vernünftige, das die EU jemals zustande gebracht hat - ausser Kraft setzt, ist der Beweis dafür, dass es zu "falsch" tatsächlich eine Steigerungsform gibt. Man kann etwas noch falscher machen als falsch. Keine Tiefgarage ist tief genug, als dass die Merkel-Regierung nicht noch ein Stockwerk tiefer parken könnte. Wenn die AfD darauf hinweist, dass alle diese Faktoren eine vernünftige Asyl-Regelung aushebeln, kommt auf der Gegenseite eine Panik der Entblössung auf, und man greift natürlich sofort zur Nazi-Keule. Eine Panik, die umso prompter erfolgt, als das gegenwärtige Asylwesen - ursprünglich für eine innereuropäische Kriegssituation gedacht - nicht auf eine globale Völkerwanderung mit Millionen von Wirtschaftsmigranten zugeschnitten ist und ganz offensichtlich massiv missbraucht wird: unter anderem auch von einer profitablen Asylindustrie, die den Schleppern quasi in die Hände arbeitet. Wer den systematisch betriebenen Menschentransport unter Hinweis auf elementare Menschenrechte in Schutz nimmt, handelt sich ein doppeltes Problem ein. Menschlich ist eine Politik nur in dem Masse, wie sie auch funktioniert. Und ein allgemeines Niederlassungsrecht, das über das Asylrecht hinausgeht, gibt es nicht. Etwas Falsches ist auch dann falsch, wenn es gut gemeint ist. 400 Millionen Afrikaner drängen nach Europa. Da kann man den prinzipientreuen Menschenfreunden und Migrationsbefürwortern nur die Daumen drücken. Das Problem erledigt sich nämlich bald von selbst. Wenn man den Bogen überspannt, kommt es unter demokratischen Verhältnissen zwangsläufig zu einem Regime-Change. Hält die gegenwärtige Entwicklung an, werden die sogenannten Rechtspopulisten das Ruder herumreissen. Dabei könnte man ja auch freiwillig zur Vernunft kommen. In Deutschland haben wir Sahra Wagenknecht, die das begriffen hat. Unter den Linken ein einsames, aber dafür umso helleres Licht. Dass eine vernunftgeleitete Migrationspolitik auch ohne Rechtsruck möglich ist, beweisen Australien, Japan und Kanada. Dort gibt es keinen Mischmasch aus Asyl und Migration, und dauerhaft darf dort nur bleiben, wer genau das mitbringt, was das Land braucht. In diesem Sinne wäre Migration tatsächlich eine Bereicherung. In Australien, Japan und Kanada gibt es denn auch keine kriminellen Ausländer-Clans, keine Massenvergewaltigungen an Silvester, keinen Ärger mit Ehrenmorden und Kinderehen, keine No-go-Areas, keine Burkini-Zwängereien, keine Massenkundgebungen islamistischer Erdogan-Anhänger und keine Halal-Schlachtungen im Stadtpark. Weil das in Europa anscheinend nicht möglich ist, bleibt nur eine Lösung: die Systemträger und etablierten Parteien müssen versenkt werden. Logik der Demokratie: wer Scheisse baut, muss seinen Stuhl räumen. Dabei wird die Links-Rechts-Frage immer wackliger, weil in der Migrationsdebatte nicht nur die Mitte, sondern auch die Linke gespalten ist. Und die kulturkonservative Rechte wird auf einmal zum rechtspopulistischen Flaggschiff. Das eklatante Versagen der Asyl- und Migrationspolitik und der damit verbundenen grünlinken Ideologie benennt die AfD auch auf die Gefahr hin, als fremdenfeindlich denunziert zu werden, was man dieser Partei sehr hoch anrechnen muss. Denn in Deutschland ist "Fremdenfeindlichkeit" das Äusserste, was an Rufmord möglich ist, ein umgangssprachliches Synonym für "Rechtsextremismus".

 

Ein anderes Schwerpunktthema der AfD betrifft den orthodoxen Islam in Europa und seine (weitgehende) Unvereinbarkeit mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und freiheitlichen Werten. Selbstverständlich sind diese Vorbehalte nicht aus der Luft gegriffen. Mit "Islamophobie" oder "Rassismus" hat das nicht das Geringste zu tun. Womit es hingegen sehr viel zu tun hat, ist der oftmals missverstandene und insofern hochproblematische Begriff der "Religionsfreiheit". Die Landeskirchen geniessen ein Ausnahmerecht, weil sie in den historischen Prozess der Säkularisierung miteinbezogen gewesen sind. Das muss man zuerst einmal kapieren, bevor man über den Islam spricht, der diese Voraussetzung eben nicht mitbringt. Eine Gleichstellung ist also von vornherein unmöglich. Bei allen Religionsgemeinschaften ausserhalb der Landeskirchen - dazu gehören auch christliche Splittergruppen - greift die Religionsfreiheit. Sie besagt, dass ich in meinem Privatleben glauben darf, was ich will. Religionsfreiheit ist ein Individualrecht, kein Kollektivrecht. Sobald ich meine persönliche Glaubensfreiheit dazu benutze, einen öffentlichen, wenn nicht sogar politischen Anspruch zu definieren, missbrauche ich das Individualrecht. Und genau hier liegt das Problem. In einem europaweit expandierenden Islam ist die antisäkulare Grenzüberschreitung programmiert. Schon lange vor der AfD hat der ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftler und Publizist Hamed Abdel-Samad vor einer schleichenden Desäkularisierung durch den orthodoxen Islam gewarnt. Und der 2014 verstorbene Schriftsteller und Regisseur Ralph Giordano, der als Jugendlicher in die Fänge der Gestapo geraten ist, hat in seinen letzten Lebensjahren die deutsche Regierung unermüdlich dafür kritisiert, dass sie dem Mainstream-Islam Tür und Tor öffnet und beim Bau von neuen Moscheen reaktionären Islamverbänden arglos auf den Leim geht. Laut Giordano ist der wahabitisch gesteuerte Islam, der in Deutschland und auch in anderen europäische Ländern installiert wird, ein Trojanisches Pferd, um das die Toleranten jetzt noch gutgläubig herumtanzen, bis sie dann irgendwann merken, WAS sie sich da eingehandelt haben. Giordano, ein linker Haudegen, der sich zeitlebens gegen Rechtsextremismus engagiert hat, war in seiner Haltung konsequent und glaubwürdig. Man kann nicht für Menschenrechte eintreten und gegen rechten Totalitarismus sein, aber gleichzeitig im Namen der Toleranz einem religiösen Machtsystem den Boden ebnen, das alle fortschrittlichen Werte negiert. Wer sich derart vertut, bekommt eben die Quittung. Zum Beispiel in Form einer neuen politischen Bewegung. Wobei die Inhalte ja gar nicht so neu sind. Mit ihrer Politik des "bürgernahen gesunden Menschenverstandes" verfolgt die AfD eine Programmatik, die sich kaum von der ursprünglichen Programmatik einer CDU unterscheidet. Das Einzige, wodurch man die AfD vielleicht etwas weiter rechts einordnen kann als die frühere, vormerkelsche CDU, ist die unbeholfen antiquierte, in Tweed gekleidete Deutschtümelei, die der Partei den Charme eines biedermeierlichen Wachsfigurenkabinetts verleiht. Meinetwegen kann man darin auch ein Gruselkabinett sehen. Aber darum geht es ja eigentlich gar nicht. Die politischen Spitzweg-Figuren der AfD sind zwar irgendwie schräg, aber sind sie deswegen eine Bedrohung? Was bedeutet es, wenn man als Deutscher eine innige Beziehung hat zu Goethe, Beethoven, den Gebrüdern Grimm, Brentano, Achim von Arnim, Josef von Eichendorff und den romantisch beflügelten 48er-Revolutionären? Was bedeutet es, wenn man als Deutscher Gebräuche und Traditionen verteidigt - und die soziale Segregation durch eine masslose und ungesteuerte Überfremdung ablehnt? Was bedeutet es, wenn man als Deutscher den Massenimport von Armutsmigranten in die Sozialsysteme und die erwartbaren Verteilungskämpfe unter den Armen und Ärmsten negativ beurteilt? Was bedeutet es, wenn man als Deutscher erkannt hat, dass ein Sozialstaat ohne Grenzen nicht funktioniert? Und dass das linksgrünliberale Projekt einer "offenen Gesellschaft" ausschliesslich den Reichen und Mächtigen zugute kommt? Über solche Standpunkte kann man streiten. Aber nach Hitler oder Goebbels klingt das alles nicht. Es klingt nicht einmal besonders extremistisch, sondern eher wie von einem leicht gereizten Pragmatismus diktiert, der nun endlich seine Rechte einfordert.

 

Die ungeheuerlichen Dimensionen eines systematischen Vernichtungskrieges und eines industriellen Massenmords mit irgendeiner aktuellen politischen Ideologie - und sei es die eines Rechtsaussen-Politikers wie Björn Höcke - in Verbindung zu bringen, entbehrt jeder rationalen Grundlage. Aber was ist denn eigentlich die Grundlage der AfD? Und warum ist diese rechtsbürgerliche Partei derart verhasst? Eines muss man zugeben: sie kann sehr wohl etwas dafür. Sie sticht in ein Wespennest, und zwar vorsätzlich. Mit einem klaren Programm und kantigen Aussagen stellt sie sich gegen die sakrosankte deutsche Willkommenskultur. In dieser Willkommenskultur realisiert sich ein Moralismus, den die AfD in einer ähnlichen Weise geisselt, wie das Luther einst mit dem Ablasshandel getan hat. Die Logik des Ablasshandels läuft über eine Schuldbegleichung, die sich einer Symbolebene bedient. Man kauft sich von der Schuld frei, indem man etwas wiedergutmacht. Allerdings geschieht diese Wiedergutmachung nicht dort, wo die Schuld erzeugt wurde, sondern gleichsam auf einer Stellvertreterebene, in der leicht zugänglichen Form einer Kompensation. Dies hat den Vorteil, dass man die Ursachen der Schuld nicht wirklich angehen muss. Der biologistische Rassismus der Nazis ist zum Glück verschwunden. Doch der typisch deutsche, beduselt-irreale Blick auf das Fremde und Andere ist geblieben. Früher hat er die Schuld erzeugt, die er heute wieder abträgt. In seiner neuen, zeitgemässen Form nennt er sich "Multikulturalismus" und kommt von links. Konkret erlebt man das als eine "positive Diskriminierung" fremder Kulturen und als ideologische Migrationsverherrlichung. Der fröhliche Exote, der edle Wilde, der gefühlvolle Orientale, die lachende Muslima mit dem knallbunten Kopftuch. Alle sind sie ganz, ganz toll. Und alle sind sie willkommen. Und zwar ausschliesslich deshalb, weil sie keine Deutschen sind. Keine blassgesichtigen Krautfresser und Nazi-Nachfahren, sondern ideale Kontrastfiguren zur eigenen beschädigten Identität, Stereotypen, bei denen es einzig darauf ankommt, dass sie anders oder fremd sind. Hauptsache, sie tragen kein Dirndl. Dazu kommt ein ausgeprägter Helferkomplex, das verklemmte Bedürfnis, ein guter Mensch zu sein. Das natürlich nur dort aufploppt, wo der Exoten-Bonus winkt: die einheimischen Armen lässt man links liegen. Kinderarmut, soziale Drift, Wohnungsnot, Rentenschwund: das soziale Gewissen könnte sich auch dort engagieren, wo es "nur" um Einheimische geht. Oder um bestens integrierte Migranten, die schon lange im Land leben und arbeiten. Aber nein, Fehlanzeige. Wir sind hier in Deutschland. Wer das Eigene oder Bestehende will, pflegt, schützt und betont, ist ein Nazi. Das Heil muss von aussen kommen, von anderswo. Unantastbar - und doch auch im höchsten Grade angreifbar - ist diese Willkommenskultur, weil sie einen neurotischen Kern hat, einen verkappten Drang zur Schulderlösung. Das hat etwas sehr Krampfhaftes. Wenn die Deutschen nicht gut sein dürfen, werden sie ernsthaft böse. Am deutlichsten sieht man diese Verdrehtheit am Beispiel von Achille Demagbo. Vor vierzehn Jahren kam Demagbo aus Afrika zum Studieren nach Kiel, wo er den örtlichen Kreisverband der AfD mitbegründet hat. Ein schwarzer Einwanderer in der AfD? Für ihn selbst absolut kein Widerspruch. Demagbo ist hochgebildet und wertkonservativ. Eine vernünftige Einwanderungspolitik, wie sie von der AfD propagiert wird, hält er für das Gebot der Stunde. Und er sagt klipp und klar, dass er sicherlich nicht in der AfD wäre, wenn er sie als rechtsextrem einschätzen würde. Diejenigen, die ihn öffentlich diffamieren, gehören zu den Gegnern der AfD. Demagbo entspricht nicht dem linksgrünen Stereotyp des zugewanderten schutzbedürftigen armen Multikulti-Afrikaners. Und er ist auch kein millionenschwerer Fussballer, der an prominenter Stelle Werbung für Multikulti machen kann. Damit verstösst er gegen eine wichtige Regel der deutschen Political Correctness. Der Fremde muss den deutschen Schuldkomplex bedienen, indem er sich beschützen und bevormunden lässt wie ein Kleinkind. Hat er den ganzen Integrationsschwachsinn nicht nötig, weil er kein unzivilisierter Dschungelbewohner ist und es für selbstverständlich erachtet, dass man sich in einem fremden Land von sich aus anpasst, bekommt er die deutsche Moral mit dem Pumpschlauch verabreicht. Oder per Schwedentrunk. Wen wundert's: bei den Verfechtern einer linksgrünen Integrationspolitik gilt Demagbo als "schwarzer Nazi" oder "Quoten-Neger". Hier zeigt sich, dass ein umgekehrter Rassismus ebenfalls rassistisch sein kann. Wenn man etwas umdreht, ist es logischerweise immer noch das Gleiche. Man hat es lediglich auf den Kopf gestellt. Ein Makel, der die linke Identitätspolitik seit ihren Anfängen begleitet. Wobei ich mit dem Wort "Rassismus" sparsam umgehen möchte. Sein inflationärer Gebrauch ist allzu offensichtlich. Echte Rassisten gibt es kaum noch. Echter Rassismus stützt sich auf eine "Rassenlehre", ein rassistisches Theoriegebäude. Eine diffuse Abneigung gegen Fremde oder Ausländer rassistisch zu nennen, ist hingegen etwas heikel. Um nicht zu sagen: völlig kontraproduktiv. So wie auch der ganze linke Antirassismus-Diskurs zutiefst unlogisch und unrealistisch ist. Wenn man nach dem Schema der Linken jede Ausländerfeindlichkeit als rassistisch einstuft und daraus sogar ein Krankheitsbild entwickelt ("Xenophobie"), müsste man auch harmlose Vorbehalte gegen Dicke, Dünne, Blonde, FKK-Anhänger, wodkasaufende Russen, Ballermann feiernde Deutsche, saublöde Zürcher, falsch einparkende Frauen und schmierige Banker unter das Rassismus-Verdikt stellen und entsprechend pathologisieren. (Der Versuch, den politischen Gegner zu pathologisieren, ist gegenwärtig eine ebenso beliebte wie hilflose linke Masche: siehe "Islamophobie"). Man könnte diese Problematik sogar auf das Denken generell beziehen. Häufig kommt ja von links der Vorwurf, jede Meinung über bestimmte Gruppen sei grundsätzlich diskriminierend, weil unzulässig pauschalisierend. Was natürlich ein Trugschluss ist. Denn diese Auffassung, die die Linken übrigens komplett ignorieren, wenn es gegen die bösen "Rechten" geht oder eine Opfergruppe generell und grundsätzlich als Opfergruppe beschrieben wird, läuft implizit darauf hinaus, dass man das Denken, Meinen und Sprechen untersagen will, wo es der eigenen Meinung widerspricht. Hinter dem linken Pauschalisierungsverbot verbirgt sich ein Kniff aus der Trickkiste der neurolinguistischen Programmierer. Man darf nicht pauschalisieren, weil der Einzelfall ja immer (oder fast immer) vom Gesamtbild abweicht. Ja, klar. Das ist tatsächlich so. Und trotzdem kann und muss man pauschalisieren. Jedes Denken ist pauschalisierend. Man denkt in Begriffen, und Begriffe sind immer Pauschalisierungen. Man kann nicht vom Wald reden und dabei jeden einzelnen Baum bis in jedes Atom hinein präzis beschreiben. Man macht sich von Sachverhalten wie auch von Dingen und Menschen ein Bild. Und jedes Bild ist eine Abstraktion, eine Vereinfachung oder Zusammenfassung. So denkt man über die Welt nach. Ein Leben ohne Klischees und Vorurteile gibt es nicht. Und ebenso wenig gibt es ein Leben ohne Diskriminierung. Wir alle sind ein bisschen diskriminiert. Noch nie ist mir ein Mensch begegnet, der sämtliche Normen erfüllt und nicht hie und da einen unverdienten, unfairen, fiesen, ungerechten, lieblos ausgrenzenden Nachteil hinnehmen müsste. Jeder Mensch besitzt mindestens ein Merkmal, das ihn zum Angehörigen einer Minderheit macht. Und eine Minderheit ist immer und zwangsläufig diskriminiert. Zumindest ein bisschen. Nicht weil die Menschen - oder die Bösen unter den Menschen, besser gesagt - absichtlich auf allen herumtrampeln, die anders sind, sondern weil sich eine Minderheit naturgemäss in der Minderheit befindet. Eine Minderheit ist IMMER unterrepräsentiert. In unserer Gesellschaft besitzen knapp ein Prozent aller Menschen eine dunkle Hautfarbe. Damit gehören die sogenannten "People of color" zu einer unterrepräsentierten Gruppe: was eben nichts mit Rassismus zu tun hat, sondern mit Mengenrelationen. Und bevor man überhaupt über Rassismus spricht, sollte man zuerst einmal abklären, ab welcher Hauttönung jemand als schwarz oder braun einzustufen ist. Wenn man diese Problematik näher betrachtet, stellt man nämlich fest, dass es eine strikte Grenze zwischen Schwarzen und Weissen gar nicht gibt. Die Übergänge sind fliessend, und ich kenne etliche Schweizer, die ihre Genealogie bis zu Winkelried zurückverfolgen können und trotzdem ein fremdländisches Aussehen haben. (Mein Vater, ein Oberbaselbieter, wurde häufig gefragt, ob er Türke sei. "Du sein Türke?" Bis er sich den Schnauz abrasierte). Und welche offizielle Hautfarbe hat eigentlich ein schwarzer Albino? Ist er ein Schwarzer oder ein Weisser? Rein optisch ist er schneeweiss. Aber im antirassistischen Diskurs müsste man ihn wohl eher als "Schwarzen" kennzeichnen. Und dazu auch noch als doppelt diskriminiert. Obwohl er vielleicht unter Weissen gar nicht auffällt, nicht mehr jedenfalls als der Durchschnitt der überdurchschnittlich Auffälligen. Das Problem ist hier - wie oft im Rassismus-Diskurs - der Referenzrahmen. Und der ist völlig subjektiv, wenn nicht sogar willkürlich. In der sogenannt diskriminierungssensiblen Sprache bezieht sich "schwarz" nicht auf die reale Hautfarbe, sondern auf die Erfahrung schwarzer Menschen von Rassismus. Schwarz ist, wer wie ein Schwarzer behandelt wird. Oder besser gesagt: wer sich so behandelt fühlt. Jeder und jede kann (theoretisch) das Schwarzsein in Anspruch nehmen, da ja die Referenz fehlt, die Bezugsgrösse. In der diskriminierungssensiblen Sprache ist ein Begriff wie "schwarz" oder "colour" nur eine Metapher, die den Bezug zur realen Hautfarbe "subjektiviert". Eine Frage der Selbstzuschreibung. Man ist schwarz oder bunt, wenn man - aus welchen subjektiven Gründen auch immer - eine "andere" oder "nicht-weisse" Farbe für sich in Anspruch nimmt. Theoretisch könnte sich auch ein Weisser als schwarz oder bunt bezeichnen. Vielleicht dank Solarium. Als Berlusconi den frisch gewählten Obama zum ersten Mal getroffen hat, soll er zu ihm gesagt haben: "Sie sind so schön braun. Gehen Sie auch regelmässig ins Solarium?" Im antirassistischen Diskurs kann es eben nicht um die Hautpigmentierung oder die Ethnie gehen: es gibt dunkelhäutige Europäer, so wie es hellhäutige Afrikaner gibt. Die Frage ist unlösbar. Was gilt eigentlich objektiv? Ab welcher Hauttönung ist man schwarz oder bunt? Wer entscheidet das? Gibt es da einen objektiv gültigen DIN-Farbtest? Oder kann man das genetisch bestimmen? Theoretisch vielleicht schon. Aber das wäre natürlich nichts anderes als Rassismus. Hier schliessen sich Rassismus und Anti-Rassismus zusammen. Sie werden eins. Und hier landen wir nun definitiv bei den postmodernen Schildbürgern: den kasuistischen Korrekt-Menschen. Oder um es etwas weniger diskriminierungssensibel auszudrücken: bei den Idioten. Der langen Rede kurzer Sinn: der antirassistische Diskurs führt in eine wunderbare Sackgasse hinein. Darin entlarvt sich eine logische und argumentative Verwicklung, die jeden Antirassisten - und natürlich auch jeden Rassisten - zum Idioten stempelt. In Wirklichkeit dreht sich dieser Diskurs - zumindest in unseren Breitengraden - nicht um echten Rassismus, sondern um die zutiefst missverständliche und missverstandene Relation zwischen Mehrheit und Minderheit, um das, was auffällt oder marginalisiert wird, weil es in der Minderheit ist. Dass jemand, der von der Norm abweicht, besonders exponiert und verletzbar ist, gilt nicht nur für die Hautfarbe. Und sogar hochgestellte Persönlichkeiten können davon betroffen sein. Etwa Prinz Charles, der wegen seiner abstehenden Ohren schon immer besonders ausgiebig verspottet wurde. Das kann auch mit Neid gemischt sein, wie etwa bei den Hänseleien, die der Klassenbeste erleidet, sofern er nicht auch der Klassenbeste in Karate ist. Und am schlimmsten trifft es natürlich immer die Dicken. Wir alle kennen das noch aus der Schule, vor allem aus dem Turnunterricht. Wenn die Schüler selbständig ihre Mannschaften zusammenstellen, bleiben am Schluss immer die sportlichen Normabweichungen übrig: die Dicken, Krummen, Kurzsichtigen und Schwachen. Die sogenannten "Mongos". Diejenigen, die beim Fuss- oder Volleyball keiner dabei haben will. Das ist grausam und ungerecht, aber irgendwie doch auch sehr normal. Unser ganzes Wirtschafts- und Arbeitsleben basiert auf haargenau diesem Prinzip. Es ist das Prinzip der Auslese. Und es ist eine Sache, die uns alle betrifft. Kein Mensch ist noch nie auf der Opferseite gewesen. Irgendwo haben wir alle eine Schwachstelle. Oder irgendeine Besonderheit, die uns von der Mehrheit unterscheidet. Eine Entschuldigung für das Mobben dicker Menschen, das sogenannte "Mobby Dicking", oder für rassistische Ausfälligkeiten ist es jedoch nicht. Hier gibt es Anstandsregeln, die man sinnvollerweise vermitteln und einhalten sollte. Ein Bogen, den die Identitätspolitik oftmals überspannt: mit fatalen Folgen. Eine Ideologie, die jede einzelne Diskriminierung zu einem Gewissenstribunal aufbläht, beisst sich letztlich in den eigenen Schwanz. Diesbezüglich sollte man einen gesunden Pragmatismus walten lassen. Es gibt Schwache, die man schützen muss, etwa Kinder. Oder schwer Behinderte. Oder Kranke. Aber Minderheiten zu schützen, nur weil sie in der Minderheit sind? Weil sie hin und wieder Spott und Häme ertragen müssen? Das ist lachhaft. Die Unversehrtheit der Person ist durch das bestehende Recht geschützt, und das ist auch richtig so. Äusserst fragwürdig ist hingegen der identitätspolitische Anspruch, diesen oder jenen Minderheitenstatus mit einem Exklusivrecht auszustatten. Eine zivilrechtliche Gruppenexklusivität gibt es nicht. Das heisst: eine Ungleichbehandlung muss durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sein. Die Haut- oder Haarfarbe oder die sexuelle Orientierung ist jedoch kein sachlicher Grund für irgendein Exklusivrecht, sondern ein zufälliges Attribut neben unendlich vielen anderen zufälligen Attributen, die einen Minderheitenstatus ausmachen. Schon allein deswegen kann eine Minderheit - egal, welche! - kein Exklusivrecht beanspruchen, es sei denn, es baut auf Leistungen auf. Ein Maturant hat die Matur erworben, ein Doktor den Doktortitel. Ein Maturant hat das Recht erworben, an einer Universität zu studieren. Ein Doktor hat das Recht erworben, eine eigene Praxis zu eröffnen. Diese Leute haben sich zu etwas gemacht. Sie haben bestimmte Qualifikationen erworben. Aber kein Schwarzer hat sich schwarz angemalt, und kein Schwuler hat sich auf schwul programmiert. Und ein Schwabbelbäuchiger ist genauso wenig gewollt schwabbelbäuchig wie eine echte, naturblonde Blondine gewollt blond ist. Und das betrifft auch Gruppen, die gar nicht in der Minderheit sind, sich gleichwohl diskriminiert fühlen. Zum Beispiel Frauen. Frausein ist keine Leistung, die zu irgendetwas berechtigt: deshalb sind Frauenquoten so sinnlos und kontrproduktiv wie Quoten für Schwarze, Asiaten, Schwule und Transgender-Menschen. Niemand kann stolz darauf sein, weiblich, schwul, schwarz, naturblond oder schwabbelbäuchig zu sein. Und niemand kann aus diesen Merkmalen ein Recht ableiten, und schon gar nicht ein Recht auf Sonderbehandlung. Es sei denn, es ist sachlich begründet. Ein Kleinwüchsiger braucht einen Stuhl, um an das oberste Regal zu gelangen: eine gerechtfertigte Sonderbehandlung. Hätte jedoch eine Nobelpreisträgerin ihre Auszeichnung der Tatsache zu verdanken, dass "jetzt halt wieder einmal eine Frau dran sein muss", so würde das ihre Leistung radikal entwerten. Sonderrechte und Quoten führen aus mehreren Gründen in die Irre. Der offensichtlichste Grund: sie nehmen ihre Nutzniesser nicht für voll, sondern definieren sie als schwach und schutzbedürftig - und reduzieren sie auf ein einziges, zufälliges Attribut. Der Schwarze ist nur noch schwarz, die Blonde blond und der Schwule schwul. So werden die Menschen schablonisiert und verkleinert. Umso schlimmer, wenn sich eine Minderheit selber in eine solche Schablone hineindrückt, um ein Schutzreservat zu beanspruchen. Ein Widerspruch in sich: wer stark sein möchte, zum Beispiel auch im Hinblick auf Diskriminierungen, die es zweifellos gibt, braucht kein Schutzreservat. Und der hat es schon gar nicht nötig, sich einer Typisierung zu unterwerfen, die ihn zum Sklaven oder Aushängeschild eines einzigen, zufälligen Attributs macht. Ich selber könnte mich zum Beispiel als abnormal gross definieren. Als Jugendlicher musste ich ins Haltungsturnen, das sogenannte "Buckeliturnen". Die Sesselreihen in den Kinos sind für meine Beine viel zu eng. In jedem Hotelbett friere ich an die Füsse, und beim Gehen sehe ich aus wie John Cleese in seiner Rolle als Vorsteher des "Ministeriums für alberne Gangarten". Nein, lustig ist das nicht. Als jemand, der über 1.90 gross ist, fühle ich mich im Alltag stark diskriminiert. Mit diesem Bewusstsein könnte ich einen emanzipatorischen Selbstaufwertungsverein gründen, einen Club der "Langen Lulatsche". Ich tue es aber nicht, weil die Körpergrösse kein Argument ist. Wenn ich in irgendeiner Sache recht habe, dann nicht deswegen, weil ich gross bin, sondern weil ich etwas in der Birne habe. Und das Gleiche sage ich auch zu den Schwulen und Schwarzen. Liebe Neger, liebe Schwuchteln: ihr habt nicht recht, weil ihr schwul oder schwarz seid. Ein angeborenes Attribut ist kein Argument. Logischerweise hat jeder Mensch eine Unzahl von Attributen, von der Blutgruppe bis zur Haar- oder Hautfarbe, und jeder Mensch gehört zu einer Unzahl von Minderheiten, was ihn einer Unzahl von Diskriminierungen aussetzt. Wir haben es hier mit einem potentiell infinitiven Blödsinn zu tun. Kein Mensch verkörpert in allen Belangen die Norm. Würde man beispielsweise Homophobie verbieten, müsste man erklären können, weshalb man Homosexuelle bevorzugt behandelt. Weshalb man das Recht auf Minderheitenschutz nicht SÄMTLICHEN Minderheiten zugesteht. Zum Beispiel auch den Schwabbelbäuchigen. Auch sie müssen sich schiefe Blicke und Hänseleien gefallen lassen. Auch sie müssten geschützt werden. Und so gerät man in eine Endlos-Spirale, weil es nahezu unendlich viele "schutzwürdige" Minderheiten gibt. Würde man ein Verbot der Homophobie durchsetzen, hätte das automatisch zur Folge, dass andere Minderheiten diskriminiert werden. Völlig zu Recht könnten diese eine Gleichbehandlung einfordern, einen ähnlichen Sonderstatus, für Schwabbelbäuchige, Rothaarige, Albinos, Hässliche, Beauties, generell Verhaltensauffällige, Hundertjährige, Dünne, Dicke, überdurchschnittlich Grosse, unterdurchschnittlich Kleine, Stotterer, Glatzköpfige, Plattfüssige, Kurzsichtige, Zahnspangenträger, Tennissockenträger, Popcornsüchtige, Urintrinker, Hundehalter, Kaninchenzüchter, Modelleisenbähnler, Fans von Justin Biber etc. etc. Die Erweiterungsmöglichkeiten sind enorm. Von den angeborenen Attributen gelangt man ziemlich schnell zum gewöhnlichen Habitus und all seinen Marotten. Wohin der Diskriminierungsschutz führt? Er führt dorthin, wo man links abbiegt. Er führt dorthin, wo die Wände schön weiss und die Fenster gut gesichert sind. Nämlich ins Irrenhaus.

 

Echter Rassismus - eine systematische und theoretisch untermauerte Herabwürdigung von Menschen aufgrund angeborener Gruppenmerkmale - ist nicht das, was man heute so gerne als Rassismus  hinstellt. Den Rassismusvorwurf benutzt man häufig als Label für moralische Allerweltsbeanstandungen, wobei die Linken mit dieser Methode nicht selten ins eigene Tor schiessen. Indem sie die Menschen in Schwule, Schwarze und Schwabbelbäuchige einteilen, kleben sie ihnen Etiketten auf, und das ist ja genau das, was Rassisten tun: sie klassifizieren die Menschen nach äusserlichen oder angeborenen alleinbestimmenden Merkmalen. Echte Rassisten sind jedoch die Linken nicht. Wenn man ihnen etwas vorwerfen kann, dann höchstens Blödheit. Es sind Leute, die das Kind mit dem Bad ausschütten. Die das Phänomen der Diskriminierung multiplizieren, indem sie aus dem Pool der unendlich vielen Minderheiten eine unendliche und unsersättliche Diskriminierungs- und Inklusionsphantasie schöpfen, einen jakobinischen Gerechtigkeitsfimmel, der in seinem utopischen Anspruch absolut realitätsfremd ist. Durch die Linken hat der Rassismus-Vorwurf jede inhaltliche Legitimation verloren. Er fungiert nur noch als gesellschaftliches Druckmittel, als moralische Reinheitsideologie: eine Neuauflage puritanischer Gewissenskontrolle. Das Ziel ist die moralische Vervollkommnung. Die absolute Läuterung. Und damit ist nun mal nicht zu spassen! Wer nicht spurt, hat eine Ächtung zu gewärtigen, die nicht nur an den Iran oder die chinesische Kulturrevolution erinnert, sondern auch an das, was sich in Europa vor Jahrhunderten schon mal abgespielt hat: mit Folterwerkzeugen und Scheiterhaufen. So wie man damals vermeintliche Hexen und Hexer mit dem Teufel in Verbindung gebracht hat, eine sozusagen todsichere Denunziation, bringt man heute bei Meinungen und Einstellungen, die einem nicht in den Kram passen, sehr schnell den Rassismus ins Spiel. Deutschland mag ein Sonderfall sein, weil seine Geschichte tatsächlich mit Rassismus und Völkermord in Verbindung steht. Aber den grossflächigen Kampf gegen Rassisten und Rassismus erleben wir eben auch in der Schweiz. Und in ganz Europa. Die unrühmliche Vergangenheit ehemaliger Kolonialmächte wie Frankreich oder Grossbritannien schiebt man dabei oft in den Fokus. Allerdings zu Unrecht. Gerade die ehemaligen Kolonialmächte führen vor, wie eine multikulturelle Gesellschaft funktioniert. Die Konflikte mit islamischen Parallelgesellschaften stehen auf einem anderen Blatt: das hat nichts mit Rassen oder Rassismus zu tun. Sehr wohl aber etwas mit Kultur, Aufklärung und Religion. Jedenfalls ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der koloniale Hintergrund auch seine Vorteile hat. Er begünstigt Rassismus nicht. Im Gegenteil. Und was die Verstrickung in den Sklavenhandel betrifft, so kann man das aufarbeiten, bis man grau und grün wird: die Vergangenheit kann man nicht ändern. Jeder reiche Europäer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts hat direkt oder indirekt vom Sklavenhandel profitiert. Aber natürlich ist es einfach, eine Sklavenwirtschaft zu bekämpfen, die nicht mehr existiert! Viel mehr Mut erfordert der Kampf gegen die heutige neoliberale Sklavenwirtschaft, die von global organisierten Wirtschaftseliten geschützt und gefördert wird. Deshalb ist es gar nicht so weit hergeholt, in dem hochgepushten Rassismusdiskurs ein abgekartetes Spiel zu sehen. In unserer Weltgegend ist der ständig angemahnte Rassismus ein Scheinproblem, das von echten Problemen ablenken soll. Zum Beispiel von der ökonomischen Ausbeutung ganzer Bevölkerungsschichten, deren Ethnie oder Hautfarbe ziemlich egal ist. Im Neoliberalismus ist man nicht deswegen deklassiert, weil man grüne Haare oder eine violette Haut hat. Man ist deklassiert, weil man kein Geld hat. Oder keine vernünftige Verdienstmöglichkeit. Oder keine Möglichkeit, mit einem geringen Lohn über die Runden zu kommen. Und die neoliberalen Eliten, die ständig etwas von "Kampf gegen Rassismus" schwafeln, deklassieren ja nicht nur die einheimische Unterschicht. Sie deklassieren auch die globale Unterschicht der ehemaligen Kolonien: nämlich durch Billig- und Kinderarbeit, durch Urwaldrodungen und Coltanabbau, durch den Export von Elektroschrott, durch Waffenexporte und die Auslagerung von umweltschädlichen Produktionen. Aber was soll's? Viel wichtiger ist der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung. Viel wichtiger ist es, dass man das Wort "Mohr" aus alten Hausinschriften entfernt, damit man ein reines Gewissen hat, wenn man auf der nächsten Safari dem fleissigen "Black boy" ein Trinkgeld gibt.

 

Dabei haben die argusäugigen Anti-Rassisten, die den Schwarzfahrer am liebsten in "Weissfahrer" umbenennen würden, gar nicht mal so Unrecht. Wir alle sind Rassisten, ohne Ausnahme. Ich würde diesem Befund nicht mal widersprechen. Allerdings sehe ich darin kein Problem. Kein Grund zum Zähneknirschen, kein Grund, sich einen Schuldkomplex aufzuladen. Entspannen wir uns doch mal ein bisschen. Zum Beispiel bei einem eisgekühlten "Black Panther". Oder beim Schwarzfahren im Tram. Rassismus ist eine menschliche Grundkonstante. Es gibt den ganz normalen Rassismus, den wir alle haben und den uns die Evolution anerzogen hat. Das Misstrauen gegen Andere und Fremde ist ein natürlicher Schutzmechanismus. Solange das einem bewusst ist und man den Rassismus nicht systematisiert - wie die Nazis mit ihrer Rassenlehre oder die heutigen Identitätspolitiker, die den systemischen und antagonistisch strukturierten Rassismus ("Gut-Bös", "Schwarz-Weiss") andersherum aufziehen anstatt ihn abzuschaffen ("die bösen weissen alten Männer") - kann man die nicht besonders intelligente Neigung, die Italiener als verfressen und die Polen als langfingrig hinzustellen, einigermassen in Schach halten. Andererseits sind Klischees etwas Schönes. Sie machen die Welt zu einem Ort der Vielgestaltigkeit. Ich bin froh, dass es Polen und Italiener gibt, dass es verschiedene Völker mit verschiedenen Mentalitäten gibt, und wer einigermassen intelligent und lebenserfahren ist, geht kaum davon aus, dass alle Polen Autos knacken und alle Italiener immer nur Pasta in sich hineinstopfen. Ich weiss das ja auch von mir selbst: obwohl ich Schweizer bin, trage ich keine Armbanduhr, und die Milch muss ich in der Migros kaufen, weil ich zu den Ausnahmeschweizern gehöre, die keine eigene Milchkuh besitzen. Wer die natürliche Neigung zum Klischeedenken verdrängt, leugnet oder tabuisiert, stellt sich eine moralische Falle. Was bei solchen Verdrängungen herauskommt - die moralisch überkorrekte Hysterie der Linken verrät viel über die Conditio humana - kann man bei Sigmund Freud nachlesen. Die politisch Überkorrekten bekämpfen in Wahrheit die eigenen Dämonen. Wer überall nur Rassisten und Nazis sieht, tickt nicht viel anders als diejenigen, die er vermeintlich bekämpft. "Der neue Faschismus wird nicht sagen: ich bin Faschismus. Er wird sagen: ich bin Antifaschismus." Dieses Ignazio Silone zugeschriebene und im Internet eifrig herumgereichte Zitat trifft - obwohl es höchstwahrscheinlich eine Fälschung ist - den Nagel auf den Kopf. Es liefert DIE Zeitdiagnose, vor allem in Bezug auf Deutschland. Eines ist jedenfalls klar: die Deutschen drehen mit ihrer Willkommenskultur völlig durch. Jetzt gibt es schon "schwarze Nazis". Das hätte sich Hitler bestimmt nicht träumen lassen. Doch darüber hinaus ist die deutsche Willkommenskultur auch so etwas wie der symbolische Zankapfel zweier miteinander kollidierender Paradigmen. Vor und hinter den politischen Kulissen eines zutiefst gespaltenen Europas tobt schon seit längerem ein Kulturkampf, den die AfD lediglich aufgreift und "eindeutscht". Dem utopischen Anspruch einer multikulturellen Gesellschaft der offenen Grenzen und der freien Migrationsströme setzt sie die Utopie einer mikrozentrierten Gesellschaft der Regionen und Vaterländer entgegen. Der elitären Politik einer "Belehrungsdemokratie" setzt sie den Volonté générale entgegen. Und während das Establishment jeden politischen Empirismus als "rechts" abstempelt und keine Mühe scheut, um am Gängelband internationaler Absprachen die Welt zu retten, wodurch viele drängende Probleme im Leben der normalen Bürger auf die lange Bank geschoben und bagatellisiert werden, möchte die AfD die Regierung dazu verpflichten, zuerst und hauptsächlich das Wohl der eigenen Bevölkerung zu gewährleisten. In Grossbritannien würde man das als "Common sense" bezeichnen, als gesunden Menschenverstand, als politische Empirie. In Deutschland jedoch hat man hier ganz andere Massstäbe. Für gewisse Politiker und die mediale Öffentlichkeit des politisch korrekten Mainstreams grenzt die Politik der AfD an das Undenkbare. An das kaum Aussprechbare einer roten, beziehungsweise braunen Linie, die niemand überschreiten darf, der als geistig gesund gelten will. Man kann hier durchaus geteilter Meinung sein. Doch in einem Punkt muss man die AfD in Schutz nehmen. Ihre Politik hat mit den Nazis ungefähr so viel zu tun wie Fruchtwasser mit Orangen. Hätten die Nazis eine gesetzeskonforme Einwanderungspolitik verfolgt und ein bisschen auf Fremdenfeindlichkeit gemacht ("illegale Ausländer raus!"), dann hätte sich die SS mangels anderer Aufgaben als Hobbygärtner-Verein betätigen müssen, und der Zweite Weltkrieg wäre kurz vor Danzig abgesagt worden. Hätten die Nazis ähnliche Ideale wie die AfD gehabt, hätten sie vielleicht ein paar Gulaschkanonen vor der polnischen Grenze aufgestellt, um die Stärke der deutschen Küche zu demonstrieren, und das Schlimmste, was man diesen Nazis hätte vorwerfen können, wäre die Germanisierung des Gulaschs gewesen. Man kann das natürlich noch weiter zuspitzen: mit der Gesetzespraxis, die die AfD im Umgang mit Ausländern gerne anwenden würde, hätte man den fremdstämmigen Terroristen und Aufwiegler Adolf Hitler nach dem Münchner Putschversuch des Landes verwiesen, und er hätte niemals das deutsche Bürgerrecht erhalten. Und er wäre niemals an die Spitze eines Staates gelangt, den er abschaffen wollte.

 

Nazi-Vergleiche taugen höchstens für absurde Überzeichnungen, etwa wenn Yoko Ono in der schwarzhumorigen Beatles-Parodie "All you need is cash" als Hitlers Tochter in SS-Uniform dargestellt wird. Schwieriger wird es, wenn man das ernst meint. Wenn man damit eine politische Aussage machen will. Wenn Menschen als Nazis verunglimpft werden, die bei Pegida mitmachen, einer Bewegung, die noch nie durch Krawall aufgefallen ist und deren Positionspapier sich wie ein Manifest der Osterbewegung liest: von Rechtsextremismus keine Spur. Oder wenn rechtsnationale Politiker exzessiv mit Armbinde, Hitler-Schnauz und Hitler-Scheitel karikiert werden: als ob man damit etwas Profundes und absolut Wahres aussagen könnte. Nein, kann man nicht. Es ist nur eine Masche. Eine Masche zudem, die sich ziemlich schnell abnützt. Auch wenn man die krasse Disproportionalität solcher Vergleiche ausser acht lässt und sich nur auf die allfälligen ideologischen Übereinstimmungen konzentriert, muss man zugeben, dass die heutigen Nationalisten mit den Nazis so gut wie überhaupt nichts gemeinsam haben, am wenigsten wohl den Antisemitismus, der heute eher unter Linken und Muslimen grassiert. In Deutschland gibt es eine judenfeindliche Linie, die von den Nazis direkt zur RAF führt - und von dort zu den heutigen Linken. Und auch in der Schweiz sind es fast ausschliesslich engagierte Linke, die in einer verdächtig einseitigen Sicht auf die Nahost-Politik gegen Israel hetzen und zum Boykott gegen jüdische Geschäfte aufrufen. Von rechts kenne ich das nicht. Wenn es für Juden eine neue Bedrohung in Europa gibt, dann kommt sie bestimmt nicht von rechts. Oder nur zu einem ganz geringen Teil. Dazu schreibt der Herausgeber der "Jüdischen Rundschau", Rafael Korenzecher: "Die heute grösste Gefahr für die jüdische Gemeinschaft in diesem Lande (Deutschland) kommt vor allem von Seiten eines widersinnigen, geschichtliche Fakten leugnenden, sich hinter vorgeschobener Israel-Kritik nur unzulänglich tarnenden, islamaffiliierten Antisemitismus aus sozialdemokratischer, grüner und ganz linker Seite. Besonders verwunderlich ist das nicht: die deutsche Linke hat eine lange Tradition eines mit dem Antikapitalismus verbundenen Antisemitismus. Nicht anders ist es mit der grossen Islamverbundenheit vor allem sämtlicher unserer linken Parteien. Jedenfalls wandern Juden aus Deutschland und Westeuropa nicht aus wegen Herrn Gauland und schon gar nicht wegen Frau Weidel oder Herrn Wilders. Das tun sie verstärkt wegen der israel- und judenfeindlichen Politik der linken Einlasser und Förderer islamischen Hasses und islamischer Gewalt gegen Juden." Nazi-Vergleiche, die sich auf rechtsnationale Einstellungen beziehen, hinken, holpern und harzen, dass es schon fast weh tut. Der Klischee-Nazi, der in solchen Vergleichen zum Zug kommt, entspringt einem ziemlich verqueren Missverständnis. Die meisten Irrtümer über das NS-Regime fussen auf der irrigen Vorstellung, die Nazis seien hyperventilierende Patrioten gewesen. Ein Bild, das den meisten AfD-Hassern - besonders den Sozis - hervorragend ins Konzept passt, zumal sie damit den Feind markieren können, den man laut Drehbuch von links bekämpfen muss. Die edlen Linken gegen die bösen Rechtsnationalen. Die Progressiven gegen die Konservativen. Die übliche Kampfaufstellung im Polit-Kindergarten. Doch Vorsicht! Sobald die Linken zum Nazi-Bashing ausholen, kommt ein Verdammungsurteil ins Spiel, das seinen historischen Bezugsrahmen komplett ignoriert. Ein Nazi ist wer? Ein Fremdenhasser? Ein Rechter? Ein Konservativer? Ein Nationalist? Nichts von alledem entspricht der nationalsozialistischen Einstellungen oder Ideologie.

 

Das Reaktionäre, auf das der Nazi-Vorwurf abzielt, trifft auf die historischen Nazis nur bedingt und teilweise zu. Es ist ein Vorwurf, der den Esel meint, aber den Sack schlägt. Die Nazis waren vor allem eines: progressiv. Sie waren die politische Avantgarde. Sie waren, wenn man so will, die hässliche Fratze der Moderne. Aber deswegen waren sie nicht weniger modern als das Bauhaus, Le Corbusier und die ganze "entartete Kunst". Bei diesem Thema lohnt sich ein Blick auf die künstlerische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere den Futurismus und seine Verflechtungen mit dem italienischen Faschismus. Auch die Dadaisten und Surrealisten gehörten zu dem Strudel aus Radikalismus, Agitation und Provokation, der im Anarchismus, Bolschewismus und Faschismus die Gesellschaft erfasste und in die kollektive Katastrophe führte. Von wegen rückwärtsgewandt! Von wegen reaktionär! Genau das waren die Nazis am allerwenigsten. Auch wenn sie - eine deutsche Spezialität, die es im italienischen Faschismus kaum gab - die moderne Kunst als "entartet" brandmarkten und einen ideologisch bereinigten Realismus propagierten. Den Nazis gelang es, die konservativen Abwehrreflexe gegen den Modernismus für sich zu nutzen, ohne sich dem Konservativismus unterwerfen zu müssen. Kulturkonservativ waren die Nazis nicht im geringsten: der Brutalismus eines Le Corbusier stand ihnen wesentlich näher als das Nürnberger Fachwerkhaus. Das Historische und Altertümliche fungierte lediglich als Opern- oder Operettenkulisse einer raffinierten Propagandamaschine, die bis heute nachwirkt. Die Nazis als Blut-und-Boden-Mystiker geben halt schon etwas her! Himmlers Wewelsburg: wie aus einem Gruselfilm. Der okkulte Hokuspokus, an den die Nazi-Elite tatsächlich geglaubt hat, war auf Selbstmystifizierung angelegt. Aber er war nichts Realpolitisches. Er war kein Rückfahrtbillett in die Vergangenheit. Die eigentliche Haltung der Nazis war totalitär. Und das heisst: modern. Sie wollten alles umwälzen. Dieselbe Radikalität besassen auch die Dadaisten und Surrealisten, die jede abweichende Meinung mit Bannflüchen belegten und alles Konventionelle, Liberale, Demokratische und Bürgerliche als Ballast betrachteten, den man über Bord werfen musste. Das Ideal einer brutalen "Tabula rasa" war allen gemeinsam. Und allen gemeinsam war auch der Glaube an den starken Mann, der die Bewegung anführt. Einen "Führer" oder "Wortführer" gab es zum Beispiel auch im Surrealismus. Er hiess André Breton, und die Grundidee seiner künstlerischen Bewegung beschrieb er folgendermassen: "Die einfachste surrealistische Handlung besteht darin, mit Revolvern in den Fäusten auf die Strasse zu gehen und blindlings so viel möglich in die Menge zu schiessen." In solchen Gewalt- und Allmachtsphantasien schwelgten auch Lenin, Stalin, Mussolini und Hitler. Die nicht ganz unproblematische Gleichsetzung von reaktionärem oder konservativem Denken mit der Nazi-Ideologie finden wir nicht nur in der linksgerichteten Debatte, sondern auch im liberalen Kulturkonsens, der die künstlerischen Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts verklärend missinterpretiert, nämlich als Aufbruch in einen humanen Liberalismus. 

 

Dann natürlich das leidige Links-Rechts-Schema, das offensichtlich immer wieder mal für Verwirrung sorgt. Die einen verwechseln es mit der Unterscheidung zwischen "Autoritär" und "Libertär", was nichts mit Links und Rechts zu tun hat, und die andern bedienen sich eines Schemas, das den Kapitalismus grundsätzlich rechts verortet, wo man auch die Nazis hinstellt, sodass man die Vertreter der Hochfinanz und Hitler gleichermassen zu den Bösen zählen kann. Nur dumm, dass Hitler die Vertreter der Hochfinanz ebenfalls zu den Bösen gezählt hat! (Wie Lenin hat er zwar deren Geld genommen, aber die Geldgeber öffentlich dämonisiert). Um die Verwirrung nicht noch zu vergrössern, lassen wir die Unterschiede zwischen Faschismus und Nationalsozialismus mal beiseite. Beschränken wir uns auf Deutschland. Die Nazis waren - man würde es kaum glauben - genauso links wie die Sozialisten! Nur eben mit dem Zusatzelement einer völkisch-rassistischen Grundausrichtung. Auf dem politischen Achsenkreuz kann man die Nationalsozialisten deshalb auch nicht am rechten Rand verorten. Dort findet man die neoliberalen Ökonomen der Chicagoer Schule, nicht aber die Nazis.  

 

 

Bei den Sozis sorgt dieses Thema bis heute für rote Köpfe. Anders, als häufig behauptet wird, sind es keineswegs nur die Liberalen, die den Konnex zwischen Sozialismus und Nationalisozialismus herstellen. Und es ist auch keine Gleichsetzung. Der Unterschied lässt sich auf eine einfache Formel bringen: in jedem Nazi steckt ein Sozialist, aber nicht in jedem Sozialisten ein Nazi. Ein Nationalsozialist ist nichts anderes als ein Linksradikaler, der auf die schiefe Bahn völkischer und rassistischer Wahnideen geraten ist. Aber trotzdem ist er immer noch ein Linksradikaler. Er ist kein Bürgerlicher, kein Liberaler, kein Nationalist und erst recht kein Konservativer. Ein Nazi ist nur dann ein echter Nazi, wenn er die Grundschule der sozialistischen Gesinnung durchlaufen hat. Wenn er gelernt hat, die Ständegesellschaft zu verachten und für das gleichgemachte Kollektiv zu kämpfen. Viele Faschisten und Nazis haben den Grundstein zu ihrer Karriere bei den Sozis gelegt, unter anderem auch Hitler und Mussolini. Ohne Sozialismus hätte es auch keinen Nationalsozialismus gegeben. Darin liegt eine unbequeme Mahnung an die heutigen Sozis, die so gerne mit der Nazi-Keule dreinhauen. Ihre superedle sozialistische Gesinnung steckt nämlich in jedem Nazi, sofern er wirklich ein Nazi ist.

 

Die Gleichschaltung der Massen in einem perfekt organisierten Ameisenstaat ("Staatsvergottung") kennzeichnet sowohl Nationalsozialismus als auch Hardcore-Sozialismus. Nationalismus ist eine gänzlich andere Kategorie. Letztlich haben die Nazis etwas geschaffen, das den ideellen Kern des Nationalen - die "Willensgemeinschaft" - vollkommen negiert. Die Nation hat nichts mit einer biologisch definierten Gemeinschaft zu tun. Und auch für die Kennzeichnung einer Kulturgemeinschaft taugt der Begriff nur bedingt. Wenn überhaupt die Kultur als nationales Identitätsmerkmal eine Rolle spielt, dann nur als Generalnenner, der das Gemeinsame relativiert. Es gleichsam bündelt in einer Narration gemeinsamer Geschichte, die vor allem dazu dient, Differenzen zu überbrücken. Eine Nation ist definitionsgemäss keine Stammesgemeinschaft, also keine Einheit, in der sich nur Gleichartiges vorfindet. Was die Nation im Innersten zusammenhält, ist nicht das organische Gebilde aus tradierter Kultur und Abstammung, das einen Stamm ("Tribe") ausmacht. Beim Stamm, etwa einem Baumstamm, besteht alles aus EINEM Stück. Die Nation ist eher ein Konglomerat. Oder - um im Bild zu bleiben - etwas wie ein Garten mit Sträuchern, Bäumen und Blumen. Zwar eine Einheit mit eigenem Charakter, aber trotzdem nicht einheitlich. Ich habe manchmal den Verdacht, dass diese Logik viele Leute überfordert. Wie kann etwas eine Einheit sein und trotzdem nicht einheitlich? Seltsam. Aber so ist die Sache mit dem Nationalstaat gemeint. Darin liegt das Konzept begründet. Nun könnte man einwenden, dass ein Staatenbund wie die EU ja das gleiche Konzept in sich trägt. Worin liegt denn der Unterschied zur Nation? Ist die EU nicht einfach so etwas wie eine Nation im Grossen? Und vollzieht sich in ihr nicht das Gleiche, das sich in der Vergangenheit auf nationaler Ebene vollzogen hat: nämlich ein zweckgerichteter Zusammenschluss einzelner Unter- oder Teilstaaten, die sich zum Wohle und Nutzen des Ganzen mehr oder weniger föderalistisch organisieren? Doch diese Analogie hinkt. Der Konflikt zwischen der EU und dem Nationalkonservativismus wurzelt in gegenteiligen Prinzipien. Ein Staatenbund ist keine Nation im Grossen, sondern das exakte Gegenteil einer Nation. Deshalb muss man diesen Konflikt unbedingt ernst nehmen. Man kann ihn nicht unter den Teppich kehren, indem man die EU zu einer Supernation erklärt. Der Unterschied liegt darin, dass ein Staatenbund gegen vielerlei natürliche Tendenzen das Gleichgewicht zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft durchsetzen oder erzwingen muss: mit der ständigen Gefahr im Nacken, dass das Ganze implodiert oder stillschweigend auseinander bröckelt. Die Nation kennt dieses Problem nicht. Oder zumindest nicht in diesem Ausmass. Hier geht der Zwang zur Einheit von den ursprünglichen Gegebenheiten aus, nicht von einer Zentralbehörde, die nach einer bestimmten Idee oder Vision ein politisches Gebilde modelliert. Funktionsfähige Staaten entstehen nicht am Reissbrett. Weil natürliche Bedingungen und Tendenzen herrschen, die einen Zusammenschluss erzwingen, bildet sich im Laufe der Zeit eine Nation - und bildet sich eine Regierung, die das irgendwie managen muss. Ein Staatenbund ist etwas Starres, bürokratisch Gewolltes und Verordnetes, eine Idee, die sich der Realität bemächtigt. Hier ist die Regierung schon aktiv, bevor überhaupt etwas da ist, das regiert werden kann. Die Nation ist das genaue Gegenteil: eine Realität, die zur Idee wird. Eine Idee, die dazu führt, dass eine Regierung eingesetzt wird. Eine Regierung, die sich als Konsequenz der Nationwerdung versteht, als Deckel auf einem Topf, in dem schon alles drin ist. Der Inhalt ist schon da, bevor es einen Topf und einen Deckel gibt. Bevor es eine Regierung und einen Staat gibt, ist die Nation schon existent: als Mittel zum Zweck. Der Staat ist lediglich die politische Struktur oder Verfassung, die die Nation sich verleiht, nachdem sie schon entstanden ist. Das heisst: Staat und Nation folgen einer realen Notwendigkeit, während der Staatenbund seine ursprünglich gar nicht vorhandene Existenznotwendigkeit nach und nach herbeiführt, indem er eine zielführende Idee oder Vision umsetzt und damit Tatsachen schafft. Die Nation steht für Realismus, der Staatenbund für Utopie. Eine Nation bildet sich innerhalb spezifischer geografischer Gegebenheiten, weil diese existieren, und muss sich gleichsam auf natürlichem Wege dorthin entwickeln, wo am Schluss die Nation ihre eigene Regierung einsetzt. Das nennt man Selbstbestimmung oder staatliche Souveränität. Natürlich geht das manchmal auch mit Konflikten und bürokratischem Geschacher einher. Aus der eigenen Geschichte kenne wir das zur Genüge. Formal verdankt die Schweiz ihre Existenz einem von Napoleon diktierten Erlass, und die innere Einheit verdanken wir unter anderem auch einem Bürgerkrieg, der viele schlaue Kompromisse erzwungen hat.

 

Die Rassentheorie der Nazis war schon für sich gesehen ein Blödsinn. Noch blödsinniger wurde sie dadurch, dass sie mit dem Begriff der "Nation" verknüpft wurde, was den Nationalstaat - eigentlich eine grosse zivilisatorische Errungenschaft - bis heute mit Vorurteilen und Missverständnissen belastet. Fragt man einen Linken, was ein Nazi sei, bekommt man garantiert die denkbar dümmste Antwort. Mit Sicherheit wird es sich um eine Antwort handeln, die auf den "Nationalismus" abzielt, den linksideologischen Inbegriff des Bösen. Als ob der Staat, den die Linken in sozialen und verwaltungstechnischen Belangen unausgesetzt in Anspruch nehmen, nicht das Gleiche wäre! Als ob der richtige oder linksgerichtete Staat ein reiner Verwaltungsapparat sei und der falsche oder rechtsgerichtete Staat - den die Linken "Nation" nennen - eine "homogene Volksgemeinschaft" aus lauter eugenisch gezüchteten Patrioten.... Tut mir leid: so kommen wir nicht weiter. Mit der linken Begrifflichkeit trabt man im Kreis herum wie ein angepflockter Esel. Wäre die Stammesgemeinschaft das, was eine Nation ausmacht, müssten die Deutschschweizer zusammen mit den Elsässern, Allgäuern und Schwaben einen eigenen Staat gründen, ein souveränes Alemannien. Anrüchig ist das ja noch nicht. Viele Separatisten argumentieren in Bezug auf die gewünschte oder angestrebte Nationwerdung ähnlich wie die Nazis, allerdings ohne sich als "überlegene Rasse" darzustellen. Auch die Deutschschweizer könnten so argumentieren. Wie die Kurden sind sie - die stolzen Alemannen - dazu verurteilt, "zwischen" vier Ländern zu leben, ohne Selbstbestimmungsrecht, aber mit einer eigenen Kultur, eigenen Bräuchen, mit Ortsnamen, die auf "-ingen" enden, und sehr ähnlichen Dialekten. Das Problem wäre allerdings, dass dieses imaginäre Alemannien aus einer Vielzahl von Unterstämmen besteht, die sich ihrerseits abspalten könnten. Die Allgäuer, Innerschweizer, Walliser, Elsässer, Schwaben, Nordschweizer, Mittellandschweizer und Ostschweizer könnten ihre eigenen Territorien abstecken, und jeder dieser Unterstämme könnte sich für unabhängig erklären und dem imaginären Gross-Alemannien einen Strich durch die Rechnung machen. Natürlich ist das weit von jeglicher Realität entfernt. Dass die eigentlichen und originalen ("reinrassigen") Schweizer, die urstämmigen Inner- oder Zentralschweizer, nur ein alemannischer Stamm unter vielen anderen alemannischen Stämmen sind, ist für das helvetische Selbstverständnis absolut unwichtig. Dieser in der Zentralschweiz ansässige Stamm oder Unterstamm hat dem Land die Gründungsurkunde ausgestellt, was mit der Geografie, respektive den geschichtlichen Gegebenheiten rund um das Gotthardmassiv zu tun hat - und nicht mit dem Stamm selbst. Nicht einmal die Superpatrioten der AUNS kämen auf die Idee, in den Schweizern einen indigenen Volksstamm zu sehen. Gerade für einen Patrioten wäre das völlig unsinnig, ja geradezu selbstzerstörerisch. Es würde die Nation auseinander sprengen. Sobald man die Nation als Stammesgemeinschaft definiert, sind es die Separatisten, die sich am am meisten darüber freuen. Eine Nation zerfällt, wenn sie das Stammesdenken mit der nationalen Identität verschmelzen will. Wer sind denn die "richtigen" Schweizer? Natürlich nicht die Basler. Nicht die Walser oder Walliser. Nicht die Welschen. Und erst recht nicht die Rätoromanen und Tessiner. Von den Pfahlbaubewohnern am unteren Zürichsee gar nicht zu reden. Würde man die Schweiz radikal verschweizern, bliebe von der Schweiz nicht allzu viel übrig. Man müsste sie auf die drei Urkantone reduzieren, aber das wäre dann keine Schweiz mehr, sondern ein läppisches Rumpfgebilde, ein Kuhschwanz ohne Kuh.


Vielvölkerstaaten sind eher die Regel als die Ausnahme. Von daher ist auch die Schweiz keine Ausnahme. Das Einmalige an ihr ist ihre dichte innere Verwobenheit. Wo das Stammesdenken allenfalls eine Rolle spielen könnte, wird es von anderen Faktoren - dem typisch helvetischen Klein-Klein - sofort verdrängt und verdeckt, quasi überwoben: von der Sprache, dem Dialekt, dem Regionalflair, der Konfession, dem Kantönli- und Halbkantönligeist. Was sich im Webmuster dieser Kleinteiligkeit zu einem Ganzen summiert, nennt man "Nation". Und weil das alles von unten vereinsmässig strukturiert ist, braucht es in der Schweiz auch keine patriotische Ermunterung von oben - wie etwa in Frankreich. In der Schweiz gibt es kein Staatsoberhaupt, keine landesväterliche Symbolfigur, die alles zusammenhält und paternalistisch behütet. In der Schweiz ist jedem von vornherein klar, dass man nicht in einer Familie lebt. Deshalb verzichten die Schweizer auf ein Familienoberhaupt. Die Schweiz ist weder eine Sippschaft noch eine Familie. Sie ist ein Verein. Die Tessiner sind nicht mit den Deutschschweizern verwandt, sondern mit den Italienern, die Romands nicht mit den Tessinern, sondern mit den Franzosen, und die Deutschschweizer nicht mit den Romands, sondern mit den Deutschen. Und ähnliche Verwandtschaftsverhältnisse gibt es auch in, respektive zwischen anderen Ländern, wenn es auch nicht überall so fest im Nationalbewusstsein verankert ist wie in der Schweiz. Die Nation ist keine Familie, sondern eher etwas wie ein Verein. Das Familienglück muss man woanders suchen. Entweder im Kleineren oder im Grösseren: im Regionalismus oder im landesübergreifenden Kulturraum, der mitunter - aber nicht immer - auch als der Kulturraum eines Volksstamms identifizierbar ist. Die Nation ist die Klammer, die beides in sich einschliesst. Die Nation definiert eine Zugehörigkeit, die alle anderen Zugehörigkeiten zentripetal zusammenhält. Das ist denn auch der Grund, weshalb man die Nationalstaatlichkeit nicht wegbekommt - und weshalb diejenigen im Unrecht sind, die dieses scheinbar rückständige Bollwerk am liebsten schleifen würden. Der Staat hat eine Funktion, die nur der Staat erfüllen kann. Seine territoriale Abgrenzung und überschaubare Heterogenität ist nicht rückständig, sondern durchaus sinnvoll - und für viele Menschen von existentieller Bedeutung. Seine wichtigste Funktion besteht darin, Gesellschaft und Gemeinschaft in ein politisches und soziales Gleichgewicht zu bringen. Die Gemeinschaft ist das, was man als Vertrauensbasis bezeichnen könnte: hier fühlt man sich wohl, ist man zu Hause, erkennt man eine gewisse Gleichartigkeit. In der Gesellschaft dagegen sucht man den Konsens - oder den Streit. Hier geht es um den Zweck, das Geschäft, das politische und wirtschaftliche Funktionsgetriebe, hier situiert sich die Aushandlungsbasis von Differenzen, aber auch die Bühne des grossen gemeinsamen Nenners. An der kleinteiligen Schweiz lässt sich das besonders schön aufzeigen. Und hier zeigt sich auch, was das Nationale nicht zu leisten vermag: es kann keine völkische Identität bestätigen. Die Schweizer sind Schweizer, und insofern sind sie EIN Volk. Aber was ein Tessiner mit einem Schauffhauser über das Schweizerische hinaus gemeinsam haben soll, müsste man mir zuerst einmal erklären. Da gibt es buchstäblich nichts zu erklären. Da gibt es buchstäblich nichts, das man bestätigen könnte. Vor dem Hintergrund des Nationalen ist das "Volk" immer nur das, was sich vor diesem Hintergrund abzeichnet. Nimmt man den Hintergrund weg, löst sich das Volk auf. Ohne das Nationale erweist es sich als Schimäre. Diese Schimäre haben die Nazis vor ihren Karren gespannt, und nach dem Krieg ist sie keineswegs verschwunden. Im Gegenteil. Jetzt schlug die Stunde der "Völkerrechtler". Doch auf welcher Grundlage steht eigentlich dieses Recht? Das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" ist so ziemlich das dümmste Recht, das jemals ersonnen wurde. Kein Mensch weiss, was man darunter verstehen soll. Welche Art von Volk ist hier gemeint? Die Stammesgemeinschaft? Die Kulturgemeinschaft? Die Willensgemeinschaft? Und was passiert, wenn sich die verschiedenen Gemeinschaften konträr überschneiden, wie zum Beispiel beim französischsprachigen Berner mit tamilischen Eltern, der in Chiasso wohnt und im Puschlav, wo seine Frau herkommt, ein Ferienhäuschen besitzt? Wie müsste man das völkerrechtlich aufschlüsseln? Müsste dieser Mensch nicht staatenlos sein? Zu welchem Volk gehört er eigentlich? Und wohin gehören seine Kinder, die eine italienischsprachige Bündnerin als Mutter und einen französischsprachigen Berner als Vater haben? Und die in Chiasso in die Schule gehen? Und die sich mit ihren tamilischen Grosseltern nur auf Tamilisch unterhalten können? Und die im Puschlav ihre Sommer- oder Herbstferien verbringen, in einer Gegend des Graubündens, wo man weder Bündnerisch noch Rätoromanisch redet? Die scherzhafte Philosophenfrage "Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?" ist wie auf diese Kinder zugeschnitten.

 

In der Schweiz - und vor dem Hintergrund ihres nationalen Selbstverständnisses - ist der Fall allerdings denkbar einfach. Die nationale Identität ist eine Frage der Wahlverwandtschaft, nicht der Blutsverwandtschaft. Und die kulturelle Zugehörigkeit ist eben variabel, um nicht zu sagen multibel. Anders würde die Schweiz gar nicht funktionieren. Im Grunde genommen ist das die Idee dahinter. So ist die Sache gemeint. Die Nation bildet den inneren (ideellen) Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die mehr ist als ihre Organisationsform und in gewisser Hinsicht auch mehr ist als die unterschiedlichen Zugehörigkeiten, die nicht zwingend eine Einheit bilden müssten. Weil aber alle Beteiligten etwas davon haben und sich im Gegenzug bereit erklären, den jeweiligen Minoritätenstatus, die spezielle Zugehörigkeit zu einer kleineren Gruppe, als etwas Untergeordnetes zu begreifen, ist dennoch eine Art Einheit entstanden, ein gemeinsames Dach. Man hat sich nun mal darauf geeinigt, dass Basel zur Schweiz gehört, und die Basler sind einverstanden damit, obwohl sie sich mit den Lappländern besser verstehen als mit den Zürchern, um nicht zu sagen mit der ganzen Restschweiz, wozu natürlich auch das Baselbiet gehört. Diesbezüglich darf man die Schweiz ruhig beim Wort nehmen: sie ist eine eidesstattliche Genossenschaft. Dass es hier eine gewisse Verbindlichkeit gibt und geben muss, versteht sich von selbst. Der Kosmopolit, der sich überall zu Hause dünkt, liegt genauso falsch wie der in seinem Glaubensgetto gefangene Islamist. Ohne eine historisch bedingte Selbstfestlegung und eine gemeinsame Werthaltung ist ein Kollektiv zum Scheitern verurteilt. Und es versteht sich von selbst, dass darin auch eine kulturelle Verbindlichkeit enthalten ist. Und mithin auch eine emotionale Komponente. Man ist nicht nur deswegen Schweizer, weil man in der Schweiz steuerpflichtig ist. Das heisst: man kann die Staatszugehörigkeit natürlich auch rein technokratisch auffassen. Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn man in der Schweiz als Fondue-Verächter schlecht ankommt. Man ist Schweizer, weil man sich fonduekonform verhält. Und weil man sich in seiner nationalen Authentizität bestätigt fühlt, wenn man Fondueduft in die Nase bekommt. Natürlich kann man sich auch aus anderen Gründen und bei anderen Anlässen als Schweizer fühlen. Ich fühle mich als Schweizer, weil ich gewisse geschichtliche Erfahrungen über die Eltern und Grosseltern sehr direkt mitbekommen habe. Mein Grossvater hat zwar die Schlacht bei St. Jakob auch nur aus dem Schullesebuch gekannt, aber immerhin hat er im Zweiten Weltkrieg die Grenze bewacht. Weil ich das aus meiner Familiengeschichte kenne, fühle ich mich als Schweizer, zumindest ein bisschen. Man kann natürlich auch nur "Papierli-Schweizer" sein. Aber auch dann partizipiert man an einer gemeinsamen Geschichte und wird früher oder später, ob man will oder nicht, mit einem Fondue konfrontiert - und allen daraus entspringenden Assoziationen, den Geschichten helvetischer Selbstidentifikation. Allein schon durch die Tatsache, dass man einen Schweizer Pass hat oder in der Schweiz lebt, strickt man an der Schweizer Geschichte mit. Man verhält sich zu ihr auf eine bestimmte Weise - was ja logisch ist, weil man sich ja nicht nicht verhalten kann, und so wird man nicht nur zu einem Objekt dieser Geschichte, sondern auch zu ihrem Subjekt, ihrem Mit-Autor. Ob man neu dazugekommen ist oder einen Grossvater hat, der mit dem Karabiner das Land gerettet hat, spielt letztlich keine allzu grosse Rolle. Wie es auch keine allzu grosse Rolle spielt, ob man Aktiv- oder Passivmitglied ist.

 

Ehrlich gesagt bin ich auch nicht immer der aktivste Stimmbürger. Mein Patriotismus ist ziemlich abstrakt. Den Militärdienst habe ich verweigert, weil ich ungern auf mein Mittagsschläfchen verzichte. Erstaugustreden sind für mich der Inbegriff von Dummgeschwätz. Und wenn ich die Schweizer Staatsbürgerschaft nur unter der Bedingung behalten dürfte, dass ich vom Fleck weg und ohne Spickzettel alle amtierenden sieben Bundesräte aufzählen könnte, bliebe mir wahrscheinlich keine andere Wahl, als mit meinem Survival Kit in den Kongo auszuwandern. (Was? Frauen gibt es auch schon im Bundesrat? Habe ich da etwas verpasst?) Ein in jeder Hinsicht unsträflicher, musterhafter Schweizer bin ich nicht. Aber wenigstens habe ich eine gute Ausrede. Das Nationale ist eine Klammer, die das, was sie einklammert, weiter oder enger definieren kann. Heute definieren wir das etwas grosszügiger als noch in den Zeiten der geistigen Landesverteidigung. Doch eine Klammer muss wissen, WAS sie einklammert. Sie braucht einen Fixpunkt. Ohne Fix- oder Standpunkt existiert man nicht - oder nur als Düftchen, das beim kleinsten Wind verweht. Ich bin zwar kein Fan von Jodelklängen, aber irgendwie finde ich es ganz in Ordnung, dass die Schweizer an ihrem Nationalfeiertag keine neapolitanischen Arien singen. Und auch wenn ich Jodelklänge hassen würde, wäre meine diesbezügliche Meinung unverrückbar. In der Schweiz muss gejodelt werden. Da gibt es keine Ausrede. Das Jodelobligatorium ist genauso strikt zu handhaben wie das Gurten- und Schiessobligatorium. Dafür gibt es gute Gründe. Die Patrioten haben recht, solange sie das Nationale als Klammer begreifen - und nicht als "Urstamm". Diese Klammer darf durchaus dick sein. Sie darf die Heimatliebe mit Fahnen, Hosenlupf, Zäuerlen, Talerschwingen, Jodeln, Jucheien, Armbrustschiessen und nachgestellten Schlachten inszenieren. Warum auch nicht? Ob es sich um einen falschen oder richtigen Patriotismus handelt, entscheidet sich lediglich an der Frage, ob man das Nationale über den Stamm oder die Klammer definiert.

 

Laut Hanna Arendt, die man in Deutschland gerne rechts liegen lässt, unterlag die nationalsozialistische Stigmatisierung von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen einer totalitären Dynamik, die fast zeitgleich auch im stalinistischen Terror ablief. Während es jedoch im Stalinismus jeden treffen konnte, sogar den glühendsten Stalinisten, traf es bei den Nazis ausschliesslich Menschen, die man einer gut erkennbaren Gruppe zuschlagen konnte. Mit dem Phantom der "Volksgemeinschaft", mit dem sich beliebige Gruppen aus dem "Volkskörper" ausschliessen und als Feinde bekämpfen liessen, propagierten die Nazis eine deutschnationale Stammesgemeinschaft und räumten die hinderliche Zivilität der Nationalstaatlichkeit aus dem Weg. Wie auch das Pathos einer nationalen Zusammengehörigkeit, die auf Kultur(en) gegründet war. Das Nationale ist ein Kitt, ein Generalnenner, eine Klammer. Es hält die verschiedensten Mentalitäten zusammen. Es gewährleistet Pluralität. Doch genau daran hatten die Nazis nicht das geringste Interesse. Als Sozialisten wollten sie alles einem einheitlichen Prinzip unterwerfen. Und getreu ihrer Rassentheorie dachten sie dieses Prinzip als ein Prinzip der "Gleichartigkeit". Das Nationale war für sie ein Genpool, kein Generalnenner. Ein gleichmacherisches Prinzip, keine Klammer, die Ungleiches einklammert und beschützt. Im heutigen Deutschland sieht man das tendenziell etwas anders. Nationalismus wird hier kurzschlussartig mit den Nazis gleichgesetzt, und wenn man über Hanna Arendt spricht, dann meistens nur aus wohlbedachter akademischer Distanz. Ähnlich wie Horkheimer und Adorno hat auch Hanna Arendt das Böse als komplexe Wechselwirkung gedacht. Oft sind es die edelsten Beweggründe, die zu den grössten Verbrechen führen, zu einer moralischen Blindheit oder Empfindungslosigkeit, die man sich im nachhinein kaum noch erklären kann. Zumal es meistens ganz normale Menschen sind, die diese Verbrechen begehen. Wie ist das möglich? Die Erklärung ist erschreckend einfach. Die in totalitären Systemen verankerte Amoralität ist - dialektisch gedacht - nicht das Gegenteil von Moral, sondern deren Steigerung. Die Gewissheit, für die "gute und richtige Sache" zu streiten, kann einen kollektiven Mechanismus in Gang setzen, der an sich harmlose Menschen (unbescholtene Bürger, Familienväter, diesen oder jenen lieben Nachbarn) zu mörderischen Bestien macht. Solche Thesen fallen heutzutage allzu schnell mal unter den Tisch, vor allem in den "antifaschistischen" deutschen Kreisen, wo man wie eh und je auf das simpelste Schwarzweissdenken setzt. Ausserdem ist Hanna Arendt den meisten Deutschen nicht deutsch genug. Oder nicht links genug, je nachdem. Besonders der Vergleich mit dem Stalinismus gilt in Deutschland als pfui, als relativierend. Da hält man sich lieber an den moderat schuldbewussten Erziehungsjournalismus eines Guido Knopp. Hier ist es wie im Kasperlitheater. Wenn das böse Krokodil auftaucht, kommt der Kasperli und haut dem bösen Krokodil mit dem Hölzchen auf den Kopf. Bei Guido Knopp und Konsorten kann man sicher sein, dass man den immergleichen Übeltäter präsentiert bekommt: den Nationalismus. Das "Whodunit" - im klassischen englischen Krimi läuft es bekanntlich meistens auf den Gärtner hinaus - führt bei den Deutschen unweigerlich zum Nationalismus. Das urdeutsche Trauma, das schon für Hitler ein Trauma gewesen ist. Man problematisiert den Nationalismus und den Nationalstaat. So erfährt der interessierte Schweizer, der solche Sendungen natürlich mitschaut, dass der Nationalsozialismus auf den Nationalismus des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Respektive auf die irrige Idee eines "homogenen Volkes", was der Schweizer unmöglich auf seine eigene Geschichte und seinen eigenen Nationalismus beziehen kann - und eigentlich auch nicht auf den Nationalismus anderer Länder, wo die Idee des "homogenen Volkes" höchstens von Separatisten wie den Katalanen oder Korsen gepflegt wird, nicht aber von echten Patrioten. Desweitern erfährt der arglose Schweizer, der bei solchen Sendungen tellergrosse Augen bekommt und immer tiefer in seinen Sessel hineinrutscht, dass der Nationalismus etwas Böses sei, voller Aggression und Expansionswut. Und dass der Nationalstaat - das Hätschelkind ewiggestriger Rechtspopulisten - eigentlich eine überholte Sache sei, ein schändliches Relikt aus finsteren Zeiten. Woraufhin sich der Schweizer am Kopf kratzt und sich seine eigene Sache denkt. Vielleicht ist der Schweizer ja ein bisschen blöd und versteht das nicht richtig. Der Schweizer ist es gewohnt, dass der Deutsche recht hat, weil der Deutsche eine schlimme Vergangenheit bewältigen muss. Dem Schweizer sollte es fernliegen, den deutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit zu tadeln. Moralisch unbeschädigt und fleckenlos ist ja auch die Schweiz nicht geblieben. Also kehrt der Schweizer lieber vor der eigenen Tür. Ein gewisses Befremden bleibt trotzdem zurück. Was in Deutschland nach einem strikten Erziehungsprogramm abgespult wird, ist eine Selbstbeschauung auf dem hohen Ross. Während der problembewusste Deutsche die Sache mit dem Nationalismus gerne verallgemeinert, problematisiert er unentwegt die deutsche Kultur, das ominöse deutsche Wesen, das Deutsche an und für sich, das Deutsche als Alleinstellungsmerkmal (eine Selbstzuschreibung, die er ziemlich unkritisch von den Nazis übernimmt) - und stellt sogar die ganze deutsche Romantik unter Generalverdacht. Diese Art der "Vergangenheitsaufklärung" ist zutiefst tendenziös. Sie ist befangen. Sie ist nicht, was sie zu sein vorgibt: eine Selbstdistanzierung. Ihre überheblich selbstbezogene Haltung müsste man nämlich nur um 180 Grad umdrehen, und schon hätte man den perfekten Nazi. Die Frage, die sich hier stellt ist folgende: genügt es, das Gedankengut der Nazis um 180 Grad umzudrehen, um über die Nazis aufklären zu können? Oder ist es nicht vielmehr so, dass sich in dieser Umdrehung immer noch der gleiche Angelpunkt zeigt, den schon die Nazis benutzt haben?

 

Seit ich solche Sendungen schaue, wundere ich mich über die Egozentrik, mit der hier Geschichte unterrichtet wird. Nur weil die Deutschen einen Hitler gewählt haben, wollen sie uns nun weismachen, Nationalismus bedeute Tod und Verderben. Ausgerechnet uns Schweizern! Mag sein, dass wir Schweizer ein bisschen blöd sind: aber so blöd nun auch wieder nicht... Ausgerechnet uns Schweizern erzählen die Deutschen, dass die Demokratie problematisch sei, weil sie einen Hitler an die Macht bringen könne. Und wenn es dann konkret um die Schweiz und ihre grösste Volkspartei geht, kommt natürlich die unvermeidliche Rechtspopulisten-Keule, damit auch der politisch unterbelichtete Wildheuer aus dem hinteren Muotathal begreift, wie aktuell Hitler noch immer ist - und dass wir in Blocher auch so etwas wie einen Hitler haben. Eine Meinung, die auch unsere linken Gutmenschen vertreten, wenn sie Blocher als Demagogen im Hosentaschenformat, als helvetischen Rumpelstilzchen-Diktator beschimpfen. Die Schweizer dürfen das: Zwerge dürfen andere Zwerge beschimpfen. Aber wenn die Deutschen über die Kleinen herziehen, bekommt das sofort einen Beigeschmack. Wenn der typische Deutsche - politisch korrekt von den Füssen bis zum exakt gezogenen Scheitel, der heute nicht mehr rechts, sondern links liegt - im schneidigen Tonfall eines Blockwarts unsere direkte Demokratie kritisiert, weil ihm irgendein Abstimmungsergebnis nicht passt, denkt man als Schweizer sofort an das Nazi-Regime. Schon vor 80 Jahren haben die Deutschen in diesem Tonfall geredet. Und auch in der DDR haben sie so geredet, nunmehr auf antifaschistisch gebürstet und im Geiste einer "Belehrungsdemokratie", die keine Abweichung duldet, wobei man unter der "Grossen Vorsitzenden" Merkel dieses Modell stillschweigend und auf allerlei Schleichwegen wiedereingeführt hat. Nicht umsonst redet man im Osten häufig von der "DDR 2.0" oder dem "System Merkel". Und wie in der DDR regt man sich über die "Blockparteien" auf. Man regt sich darüber auf,  dass hinter der Fassade der musterhaften repräsentativen Demokratie alle Positionen austauschbar sind. Und wie in der Endphase der DDR wünscht man sich eine heftige Opposition, deren Rolle nunmehr die "böse", für das bestehende Machtsystem tatsächlich gefährliche AfD übernimmt. Kurz gesagt: das "System Merkel" weckt bei vielen Ostdeutschen ungute Erinnerungen. Wer dieses System in Frage stellt, ist ein Nazi, ein Faschist. Und darin liegt denn auch der direkte ideologische Bezug zur DDR. Was wir in Deutschland erleben, ist eine Neuauflage des politisch instrumentalisierten "Antifaschismus". Der wieder einmal sein falsches Spiel treibt, indem er die Begriffe auf den Kopf stellt. Der "antifaschistische Schutzwall" ist selber faschistisch gewesen: zutiefst menschenverachtend. Und so kommt auch der deutsche Totalitarismus des 21. Jahrhunderts nicht aus den patriotischen Bierkellern der Nationalkonservativen und Wertkonservativen, sondern aus den neulinken Schaltzentralen, wo sich etliche Ex-Stasi-MitarbeiterInnen eingenistet haben: rote Schergen, Systemclaqueure, Gehirnwasch-Spezialisten, Mauermörder, Erpresser und Spitzel. Die dort nicht nur ihren Nachwuchs rekrutieren, sondern nach der Latenzphase der Wendejahre eine neue rote Infiltration anstreben. Diesbezüglich sollte man sich nichts vormachen. Und ich wundere mich, dass dieses Thema in der deutschen Öffentlichkeit nicht kritischer behandelt wird. Die DDR ist untergegangen. Aber die damaligen Systemträger haben munter weitergelebt - und leben zu einem Grossteil bis heute, und zu einem Grossteil bekleiden sie die achtbarsten gesellschaftlichen Positionen. Und die sollen nun alle gewandelt und geläutert sein? Aus dem ideologischen Scheissloch gekrochen: und auf einmal duftet man nach Rosenwasser! Die Stasi war der grösste und wahrscheinlich auch umtriebigste Geheimdienst, den es jemals gegeben hat. Wer glaubt, dieses Monster hätte sich nach der Wende einfach in Luft aufgelöst, glaubt wahrscheinlich auch an den Weihnachtsmann. Die meisten Ex-DDR-Bürger sehen dieses System heute mit Abscheu. Aber längst nicht alle, und auch viele Westdeutsche bewundern es insgeheim - und versuchen seine Strukturen und Methoden zu adaptieren, unter anderem auch mit der Absicht, den EU-Kurs und den Globalismus gegen den verteufelten Rechtskonservativismus zu verteidigen. Angesichts dieser neuen Frontstellung kommt dem machtsichernden "Antifaschismus" der DDR eine neue und aktuelle Bedeutung zu. Auf diesem Erbe kann man aufbauen. Wer seine politischen Gegner pauschal als "Faschisten" verunglimpfen kann, hat einen gewissen Vorsprung. Vor allem in Deutschland. Als "Antifaschist" besitzt man in Deutschland, wo man das ja schon in der DDR antrainiert bekommen hat, einen moralischen Persilschein, einen Heiligenschein. Oder besser gesagt: einen Scheinheiligenschein. Der gegenwärtige deutsche "Antifaschismus" geht weit über den normalen verantwortungsvollen Umgang mit der Nazi-Vergangenheit hinaus. Er führt das Gedenken an die Nazi-Verbrechen, das seit Kriegsende zur deutschen Staatsräson gehört, ad absurdum, indem er es instrumentalisiert und totalitär unterfüttert. Um dieses zynische Muster erkennen zu können, muss man sehr genau hinschauen. Und vor allem muss man verstehen, dass der Begriff "Faschismus" im Kalten Krieg ideologisiert wurde. Was bis heute nachwirkt. Mit der gleichen geschichtsrevisionistischen Schablone, die den Machtapparat der DDR legitimiert hat, versucht man auch heute wieder einen Machtapparat zu legitimieren. Insofern gibt es neben dem rechten auch einen linken Revisionismus. Dieser beruht im wesentlichen darauf, dass man den Sozialismus im Wort "Nationalsozialismus" ausblendet. Das ist pure Geschichtsverfälschung. Jedes Mal, wenn ein Linker das verfängliche Wortpaar ausspricht, überdeckt ein Piepton den zweiten Wortteil. Als würde der gar nicht existieren! Peinlicherweise existiert er aber sehr wohl.  Der Piepton ist unüberhörbar. Weshalb die Linken am liebsten die Abkürzung benutzen, also lieber von "Nazis" als von "Nationalsozialisten" reden. So können sie vom eigenen Totalitarismus ablenken und das falsche, klischeehaft zurechtgebogene, historisch fragwürdige Links-Rechts-Schema in eine moralische Allzweckwaffe verwandeln, bei der es buchstäblich um Gut gegen Böse geht, eine politische Märchenstunde mit Wölfen und Hexen und anderen bösen Menschenfressern. Hier die Linken, dort die bösen Nicht-Linken. Dabei wird nicht nur der rechtsextreme Sozialismus und der antikapitalistische Kern der Nazi-Bewegung geleugnet; das allein wäre schon schlimm genug. Noch schlimmer ist die Relativierung, die damit einhergeht, der konstruierte Generalverdacht. Die übelste, weil fahrlässigste und zugleich auch wirksamste Verharmlosung der Nazis finden wir im inflationären Gebrauch der Wörter "Nazi" und "Faschist". Ganz offensichtlich benutzt man solche Wörter, um den politischen Gegner zu diffamieren. Damit verschiebt man die Semantik, wenn man sie nicht sogar löscht. Aus einem Wort, das auf einen historischen Kontext verweist und nicht beliebig besetzt werden kann, wird ein beliebig verwendbares Schimpfwort. Anstatt "Nazi" oder "Faschist" könnte man auch "Idiot" oder "Arschloch" sagen. Gut, meinetwegen. Schaue ich jedoch in einem Lexikon nach, um die korrekte Bedeutung zu ermitteln, finde ich dort eine ganz andere Erklärung. Dort steht nichts von "Arschloch" oder "Idiot". Die neulinke Begrifflichkeit höhlt die Begriffe, mit denen sie hantiert, systematisch aus. Und gerade dadurch erfüllt sie ihren Zweck. Einen Zweck, der - getreu der alten leninistischen Parole - durch die Mittel geheiligt wird. Man verfolgt eine umfassende Strategie. Man mobilisiert eine politisch korrekte Pseudo-Moral und reaktiviert den guten alten "Antifaschismus" der Nachkriegszeit. Das klingt dann zuweilen wie in der DDR, als man den "antifaschistischen Schutzwall" gegen den bösen Westen errichtet hat, obwohl es weit und breit keine Faschisten gab, vor denen man sich hätte schützen müssen. Dieser "Schutzwall" wird nun in den Köpfen (via Medien und diskursiv) mit grosser Beflissenheit wieder aufgebaut: gegen die bösen Konservativen, gegen die bösen Patrioten, gegen alles, was nicht linksgrün, transatlantisch oder globalistisch daherkommt. Tatsache ist: die unzähligen Stasi-Spitzel - die offiziellen Schätzungen schwanken zwischen jedem vierten und jedem fünften DDR-Bürger - sind nicht einfach verschwunden. Und auch das damals frisch geschulte junge DDR-Kader hat sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Diese politisch gedrillten Ost-Agenten "mit besonderen Fähigkeiten" haben ihre Karrieren bruchlos fortgesetzt. Den Systemwechsel haben sie gut überstanden. Man findet sie deutschlandweit in jeder Altpartei und in jedem Medienhaus. Man findet sie aber auch in den neulinken Bündnissen und Netzwerken "gegen Rechts" und "gegen Hass und Hetze", wo sich der Bock quasi zum Gärtner macht. Man findet sie als Einpeitscher im linken Shitstorm-Mob, der gegen die AfD und gegen jedes nicht linientreue Denken agitiert. Dasselbe in den neulinken Politbüros und in jedem staatssubventionierten Schlupfloch. Wo man hinschaut, gelangen die alten Stasi-Methoden - Zersetzung der nicht systemkonformen feindlichen Kräfte und Gleichschaltung der Medien durch Überwachung des Meinungskorridors - wieder zur vollen roten Blüte. Da wird bespitzelt, denunziert, eingeschüchtert und gleichgeschaltet, dass man sich fast ein bisschen vorkommt wie in einem ostalgischen Stasi-Reenactement. Da werden alle Register der Propaganda gezogen, bis hin zu einem Staatsfunk-System à la DDR. Da wird ein staatlich gedecktes, perfekt organisiertes Kesseltreiben gegen Andersdenkende veranstaltet, frei nach dem Motto: "Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein." Eine Forderung, die immer öfter auch von der Antifa unterstützt wird, der ausserparlamentarischen Kampftruppe des politisch korrekten Establishments. Hier wird alles niedergeschrien und sogar mit Fäusten und Knüppeln niedergemacht, was sich der neulinken Toleranz und Menschenliebe entgegenstellt.

 

Die AfD kann man in vielen Belangen ablehnen. Warum auch nicht? Man kann etwas ablehnen, ohne es vernichten zu wollen. Ohne dass man eine orchestrierte Hetzjagd veranstaltet, wie das jetzt in Deutschland geschieht. Das Problem ist nicht die AfD. Das Problem ist Deutschland. Das Problem ist die deutsche Geschichte und das deutsche Selbstverständnis. Und die daraus erwachsene Mentalität. Eine einzige Oppositionspartei bringt dieses Land aus den Fugen und weckt den erbittertsten Widerstand. Wie wenn es keine Opposition geben dürfte! Keinen Streit, ohne den eine Demokratie zum Schattentheater verkommt. Das Kesseltreiben gegen die AfD - wie kennen das ein Stückweit auch aus der Schweiz im Zusammenhang mit der SVP, wenn auch nicht in dieser aggressiven, alles überlagernden Form - hat nichts mehr mit einer Streit- oder Debattierkultur zu tun. Es ist ein Medienkrieg gegen politische Opponenten und Millionen von Wählern, die es wagen, die falsche Partei zu wählen und die falsche Meinung zu haben. Das alles ist so hanebüchen, dass man sich im Ausland verwundert am Kopf kratzt. Was ist in Deutschland eigentlich los? Wütet dort wieder einmal der Furor teutonicus? Der hochdeutsche Kollektivwahn? Nicht ALLE Deutschen sind so. Aber es ist halt schon irgendwie typisch, typisch deutsch eben: ein unterirdisches Demokratieverständnis. Und immer geht man aufs Ganze. Wenn der Deutsche einen Nagel einschlägt, bleibt die Wand nicht lange stehen. Noch immer - und schon wieder - sind die Deutschen so deutsch, dass es für einen Schweizer fast schon gruslig wird. Noch immer - und schon wieder - sind die Deutschen die aufgeblasenen Rechthaber, die mit politischen Hygienebelehrungen hausieren gehen, etwa in Talkshows, wo man die AfD, die eine direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild fordert, routinemässig als demokratiefeindlich beschimpft. Wo man Sprüche hört wie: nur eine gelenkte Demokratie ist eine gute Demokratie! Und wo führt das noch hin, wenn das Volk nicht geführt wird? Nein, das ist nicht die Sprache der AfD. Das sagen die andern. Das sagen die Anständigen und Oberanständigen. Das sagen diejenigen, die ständig und überall eine "rechte Gefahr" wittern, eine Gefahr für die Demokratie. Oder besser gesagt: für das, was sie unter Demokratie verstehen. In Deutschland jault man reflexartig auf, wenn das Wort "Volksentscheid" in die politische Debatte eingebracht wird. Souveräne Nationalstaaten stellt man gerne als Brutstätten zukünftiger Kriege dar. Oder als unverbesserliche Egoisten. Man schimpft zum Beispiel über die Briten, weil sie ihre staatliche Souveränität zurückwollen. Man schimpft hier im Grunde genommen nicht über den Brexit, sondern über das, was für viele Länder zur legitimen Existenzgrundlage gehört. Und im Prinzip schimpft man damit auch über die Rechtsstaatlichkeit, die vielen Internationalisten ein Dorn im Aug ist, weil sie den Multilateralismus einer machtbesessenen Kapital- und Funktionärselite an die Kandare nimmt. Und was ist mit Israel? Hier darf der Deutsche natürlich nicht allzu laut schimpfen. Haben die Israelis nicht gerade wegen den Nazi seinen eigenen Staat gegründet? Und ist dieser Staat nicht gerade wegen den Nazis gerechtfertigt? Und nennt man die Idee hinter einer solchen Staatsgründung nicht "Nationalismus"? Und ist der Selbstbehauptungswille des jüdischen Staates nicht ein nationalistischer? Woran mäkeln also die anti-nationalistischen, will sagen: moralisch superguten und superkorrekten Deutschen herum? Von welchem Nationalismus reden sie überhaupt, wenn sie den Nationalismus verdammen? Und was ist mit all den Patrioten und Nationalisten, die gegen die Nazis gekämpft haben?

 

Ach ja, die Deutschen. Durch den Aufstieg der AfD haben die Deutschen - die guten Deutschen natürlich - eine ideale Projektionsfläche erhalten. Ein ideales Feindbild. Hier kann sich "der gute Deutsche" produzieren und aufbauen. Auf dieser Bühne und vor dieser Projektion kann er der "gute Mensch von Sezuan" sein, den Brecht bekanntlich scheitern lässt. Doch der "gute Deutsche" bleibt sich auch im grössten Scheitern treu. Die berüchtigte deutsche Treue ist keine Frage der politischen Einstellung, sondern einer ganz und gar parteiübergreifenden deutschen Mentalität, die im Ausland häufig als moralische Arroganz wahrgenommen wird, als Überheblichkeit, die zwangsläufig an die Nazis denken lässt: eine ebenso logische wie fatale Assoziation. Denn obwohl die Deutschen ihre Vergangenheit vorbildlich aufgearbeitet haben - tatsächlich gibt es nirgendwo weniger Rassisten und Fremdenfeinde als in Deutschland - ist die Arroganz noch immer die gleiche. Wieder sind es die Deutschen, die alles besser wissen. Wieder sind es die Deutschen, die einen auf dicke Hose machen. Wieder sind es die Deutschen, die uns sagen, wo's langgeht. Wieder sind es die Deutschen, die eine Heilsmission verfolgen. Wieder sind es die Deutschen, die in Europa den Ton angeben (Euro-Politik, Flüchtlingspolitik) und dieses Europa mit den besten Absichten spalten. Und schliesslich sind es wieder einmal die Deutschen, die das eigene Land mutwillig oder überheblich aufs Spiel setzen. Keine 30 Jahre nach der Wiedervereinigung pushen die Westdeutschen - und vor allem deren mediale und politische Elite - eine innerdeutsche Polarisierung, die wahrscheinlich dazu führen wird, dass die Ostdeutschen ihre Mauer wiederaufbauen: als Schutzwall gegen die "Besser-Wessis". Lieber eine neue Mauer als ein Bürgerkrieg. Wieder sind es die Deutschen, die allen andern, inklusive ihren ach so lernresistenten ostdeutschen Landsleuten, "den Plattköpfen aus den Plattenbauten", etwas einpauken wollen. Etwa den Unterschied zwischen einer Diktatur und einer Demokratie.... Ausgerechnet den Ostdeutschen, die die Stasi entmachtet haben. Und ganz nebenbei gefragt: welche Diktatur haben eigentlich die Westdeutschen beseitigt? Soweit ich ich weiss keine einzige. Ein typischer Fall von moralischer Grossmäuligkeit. Die Westdeutschen setzen also die Ostdeutschen auf die moralische Hilfsschülerbank. Oder auch uns Schweizer. Oder die Briten. Und hier machen sich die Deutschen vollends lächerlich. In einer Zeit, als die Deutschen noch aufmüpfige Bauern gerädert haben, hat man in England und in der Schweiz bereits die ersten Abstimmungen durchgeführt. Als die Deutschen noch vor ihren Fürsten im Staub gekrochen sind, haben die Briten schon längst ein Parlament und die Schweizer einen Landtag gehabt. Sowohl die Schweizer als auch die Briten haben relativ früh so etwas wie eine eigene Nation gehabt, einen inneren Zusammenhalt, im Gegensatz zu den Deutschen, die noch im 19. Jahrhundert um diesen zivilisatorischen Fortschritt gerungen haben. Und wenn wir schon im 19. Jahrhundert sind: wohin sind die deutschen Dissidenten in den Revolutionsjahren geflohen? Richtig: nach Grossbritannien und in die Schweiz...

 

Damit man mich richtig versteht: ich bin nicht dagegen, dass man in Deutschland Sendungen über die Nazi-Zeit produziert. Es ist gut, den damaligen Schrecken in Erinnerung zu behalten. Den Kriegsverharmlosern und Holocaust-Leugnern gilt es entschieden entgegenzutreten. Wie auch den Antisemiten, egal ob es linke, rechte, schiitische oder sunnitische sind. Andererseits ist es gerade die Unfassbarkeit des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts, was die Frage aufwirft, ob der deutsche Blickwinkel nicht zu eng ist. Ob es wirklich angebracht ist, das Übel im Nationalismus zu verorten. Historisch gesehen ist dieser Blickwinkel zu eng. Und er wird massiv missbraucht. Man will den Nationalstaat in Verruf bringen: da kommen die Nazis gerade recht. Was umso bedenklicher ist, als sich im innerdeutschen Mainstream eine ebenso penetrante wie giftige politische Korrektheit breit macht. In Deutschland ist freies Denken wieder einmal verpönt. Hier dringt eindeutig der frühere Untertanenstaat durch. Man sehnt sich nach einer Gesinnungspolizei und verteufelt jeden rechtspolitischen Opponenten als Nazi, während man andererseits überhaupt keine Hemmungen hat, den Iran oder Saudi Arabien mit Waffen zu beliefern und dem reaktionären Islam sämtliche Tore zu öffnen. Diejenigen Deutschen, die sich am vehementesten dafür einsetzen, dass man die freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen die "rechte Gefahr" verteidigt, verstehen sich mit autoritären Regimes anscheinend recht gut. Das hat ja schon mit dem "speziellen" (das heisst: zwiespältigen) Verhältnis zur Türkei angefangen. Diese merkwürdige Doppelmoral betrifft auch den Antisemitismus, etwa wenn der deutsche Bundespräsident dem Iranischen Regime zum Jahrestag der Islamischen Revolution gratuliert. Einem Regime, das regelmässig mit der Auslöschung Israels droht. Zur Verteidigung der Deutschen könnte man sagen, dass sie nicht anders können. Der grösste Fehler der Deutschen besteht darin, dass sie deutsch sind. Dass sie nicht aus der eigenen Haut heraus können. Von daher die Doppelmoral, die gedenkwütige Heuchelei, was die eigene problematische Vergangenheit betrifft. Tatsächlich erinnern viele Schwächen und Obsessionen der heutigen Deutschen - sei es die Abneigung gegen Volksentscheide, sei es der zwanghafte Konformismus ("Untertanengeist"), sei es die notorische Parteinahme gegen Israel und für die Palästinenser durch das deutsche Fernsehen, sei es das ebenso offiziöse wie innige, auf frühere Bündnisse zurückgehende Verhältnis zum reaktionären Islam, sei es das gestörte, von Masochismus und Hybris gleichermassen geprägte Verhältnis zum Nationalstaat, sei es der Hang zum kollektiven Rausch und zum irrationalen Götzenkult (Öko-Hype, Klima-Hype, Gutmenschen-Hype, Willkommenskultur-Hype etc.) an die dunkelste deutsche Vergangenheit. An das, was an den Deutschen irgendwie unverbesserlich ist. Die deutsche Mentalität, die schon vor den Nazis dagewesen ist, hat die Nazis überdauert - und schert sich überhaupt nicht um die ideologische Windrichtung. Das Deutsche oder Allzu-Deutsche kommt nicht immer als Nazi oder im wilhelminischen Stechschritt daher, sondern kann sich auch grün-alternativ oder sozialdemokratisch geben. Penetrant bleibt es in jeder Hinsicht. Und selbstverständlich sind nicht alle Deutschen so. Ich rede von einem Gesamteindruck. Der allerdings ziemlich nachhaltig ist. Ich erinnere mich noch gut an ein deutsches Imageproblem, das vor allem den Fussball betraf. In den Siebziger- und Achtzigerjahren spielte die deutsche Nationalmannschaft - damals hiessen die meisten Spieler noch Müller oder Meier - einen Fussball, der taktisch eiskalt und mit der Eleganz einer Stahlramme alles niederwalzte, was sich auf der Gegenseite zu rühren wagte. Niemand spielte so verbissen Fussball, so ganz und gar unspielerisch und zielstrebig, wie die deutsche Nationalelf mit den weissen Trikots. Wann immer die Deutschen den Rasen betraten und den hilflos trippelnden Gegner mit einer generalstabsmässig durchdachten Grossoffensive in Bedrängnis brachten, hörte man hierzulande Sprüche wie "Auf zum Endsieg!" oder "Sie haben es anscheinend nicht verlernt".

 

Wie im Fussball, so auch anderswo. Bis zum heutigen Tag äussert sich das Deutsche oder Allzu-Deutsche in einem Selbstbewusstsein, das in der historischen Schuldfrage dazu neigt, alle Widerstände (d.h. Gegenargumente) mit der Stahlramme eines eiskalten Moralismus niederzuwalzen. Der innerdeutsche Diskurs rund um Nationalität und die Rolle des Nationalstaats ist hochgradig vergiftet und obsessiv. Das zeigt auch der Umgang mit der rechtsnationalen Regierung Polens, die, nebenbei gesagt, ziemlich erfolgreich ist und sämtliche Klischees über die "rechtspopulistischen Arschlöcher" widerlegt. Diese Arschlöcher erweisen sich gegen jede Erwartung als regierungsfähig und kompetent! So ist die Kinderarmut in Polen seit dem Regierungswechsel stark zurückgegangen. Für die Deutschen ein Affront, besonders für die grandios scheiternden deutschen Sozis, die seit Bestehen der grossen Koalition eine soziale Misere mitzuverantworten haben, die man eisern ignoriert. Hauptsache man denkt nicht nationalistisch! Alles andere ist egal. Diese innerdeutsche Obsession beruht auf der irrigen Vorstellung, zwischen Nationalismus und Nationalsozialismus bestünde so etwas wie ein gut geöltes Scharnier. Man tut so, als wären die Nazis die unabwendbare Folgeerscheinung des deutschen Nationalstaats gewesen. Das haben die Nazis wohl so dargestellt: ein Propaganda-Kunststück, das die Nazis überlebt hat und gegen das man sich als Schweizer, Schwede oder Brite verwahren muss. Mit welcher Berechtigung definiert man hier den Nationalismus im Gleichklang mit den Nazis? Die Deutschen übernehmen, was ihnen die Nazis vorgekaut haben - und wenden es nun einfach ins Negative. Hier fehlt bis heute jedes Problembewusstsein. Denn der Nationalstaat ist nicht das, was die Nazis daraus gemacht haben. Ohne den Nationalstaat würden wir heute noch von Grossmächten und Burgvögten geknechtet werden. Und es ist auch kein Wunder, dass die neoliberalen Burgvögte und Wirtschaftsimperialisten den zäh sich behauptenden, zuweilen eigensinnig agierenden Nationalstaat beseitigen wollen. Das gleiche Ziel haben auch schon die Nazis verfolgt: sie haben den damals noch ziemlich ungefestigten Nationalstaat (und nicht nur ihren eigenen) erfolgreich beseitigt. Das Schlaue und Perfide an den Nazis war jedoch, dass sie sich dabei als Nationalisten inszenierten, um die nationalistischen Kräfte an sich zu binden. Dass man das bis heute in Deutschland nicht durchschaut, ist ziemlich verwunderlich.

 

 

Bekanntlich gründeten die Nazis das "Dritte Reich". Der Nazi-Staatsrechtler Carl Schmitt hat den Unterschied zwischen "Reich" und "Nation", der heute so gerne verwischt wird, unmissverständlich ausformuliert. Die Nazis haben das Nationale verachtet. Und ihre Theoretiker haben das nach Kräften unterstützt. Und siehe da: die Verachtung war gegenseitig. Ein Nationalist, der von einem Imperium träumt, gibt die Idee der Nationalstaatlichkeit auf. Er ist ein Landesverräter. Ein paar wenige deutsche Nationalisten haben das begriffen. Aber da war es schon zu spät, und das misslungene Attentat vom 20. Juli war nichts als eine symbolische Protestnote. Eine Ehrenrettungsposse. Trotzdem schauen hier die Linken ein bisschen dumm aus der Wäsche. Dass die zähesten und verschlagensten innenpolitischen Feinde Hitlers nicht die Kommunisten oder Sozialdemokraten gewesen sind, sondern Angehörige des preussischen Militäradels, ist eine grosse und bis heute schwer verständliche Ironie der Geschichte. Ohne eine Heldensaga weben zu wollen - auch Nationalisten können Arschlöcher sein, und in Deutschland haben die meisten von ihnen aus Opportunismus praktisch alles mitgemacht - bleibt doch festzuhalten, dass die Ideologie der Nazis dem Selbstverständnis deutscher Nationalisten widersprach. Es gab auch jüdische Nationalisten in Deutschland. Ganz offensichtlich vollzogen die Nazis hier einen Bruch. Diesen Bruch zu negieren, weil man aus dem Nationalismus unbedingt eine Vorstufe des Nationalsozialismus machen will, halte ich für ziemlich bescheuert. Das nationalsozialistische Gemisch aus Autoritarismus, Militarismus, Sozialismus, Imperialismus, Antisemitismus und Rassenlehre war der Reichsgründung von 1871 diametral entgegengesetzt. Hier ging es eigentlich gar nicht um Politik, um die Frage der Gesellschaftsordnung, der Staatskunst und dergleichen. Das war eben das Neue und Erschreckende daran. Das war auch der Unterschied zur Konservativen Revolution, die für die Nazis lediglich eine Geburtshelferin gewesen ist. Die Nazis wollten nicht in eine verklärte deutsche Vergangenheit zurück. Mit den grimmigen Germanen, den strammen Preussen oder den steifen Staufern hatten sie wenig am Hut. Das alles war für sie nur Staffage. Die Nazis wollten nichts Geringeres als die Welt, die absolute Macht. Eine Macht, die sich nie verfestigen durfte. Hätten die Nazis die Welt erobert, hätten sie als nächstes den Mond erobern müssen. Hanna Arendts Analyse des braunen und roten Totalitarismus kann man auf jede nur denkbare Nazi-Dystopie anwenden. So wie Stalin, obwohl er ja fest im Sattel sass, ständig gegen "Konterrevolutionäre" und "Vaterlandsverräter" wütete und kurz vor dem Zweiten Weltkrieg sogar die ganze Armeeführung ausgelöscht hat, war auch Hitler an eine Machtdynamik gebunden, die jede politische Vernunft plattwalzte. Der Widersinn hatte freilich Methode. Das Herrschaftssystem der Nazis hätte sich niemals konsolidieren können. Wie bei einem Velo, das umfällt, sobald es stillsteht, musste die ursprüngliche Dynamik der Bewegung über jedes angestrebte Ziel hinaus erhalten bleiben. Deshalb waren die Ziele der Nazis auch so unrealistisch. Selbst nach einem "totalen" Sieg hätten die Nazis immer neue "heroische" Anstrengungen unternehmen müssen, um aus der eigenen Bevölkerung irgendwelche "Entartungserscheinungen" zu entfernen. Bis dann auch die Blonden und Blauäugigen drangekommen wären, respektive diejenigen unter ihnen, die man nach irgendwelchen pseudowissenschaftlichen Kriterien als "minderwertig" hätte aussondern können. Als "minderwertig" hätte grundsätzlich alles gelten können: geringe Körpergrösse, Allergien, Plattfüssigkeit, Stottern, Fettleibigkeit, motorische Ungeschicklichkeit, Nikotinsucht, Kurzsichtigkeit, Blutarmut, Schuppen, Krampfadern, Sommersprossen, Unfruchtbarkeit etc. Und so wäre das homogenisierende  Selektionsverfahren, das uns im heutigen Neoliberalismus (Stichwort "Selbstoptimierung") gar nicht so fremd sein dürfte, immer weiter und weiter gezogen worden. Bis sich der letzte Nazi sozusagen selber hätte eliminieren müssen. Was wie ein makaberer Witz klingt, liegt durchaus in der Logik der Sache. Das Projekt der Nazis durfte nie zum Stillstand kommen. Und das Gleiche galt auch für den Stalinismus. So wie der Stalinismus in seinem Autokannibalismus immer neue Vorwände für Säuberungen suchte, brauchten auch die Nazis in ihrem Reinheitswahn die permanente Bedrohung durch einen inneren oder äusseren Feind, respektive die Bedrohung durch eine biologische "Entartung", deren Feinskalierung fast jeden hätte treffen können: sogar Hitler, der ja nicht gerade das Musterbild eines Ariers war. Noch abstruser wurde die Sache dadurch, dass sich Hitler in seiner Aussenpolitik (falls man das so nennen kann) am Commonwealth orientiert hat. Ein Staat, der einen ganzen Kontinent annektiert, ist kein Staat mehr, sondern ein Imperium. Oder anders gesagt: als die Nazis in Paris einmarschierten, blieb der Eiffelturm trotzdem ein französisches Bauwerk. Für Hitler kein Problem, denn auf das nationale Wahrzeichen kam es ihm gar nicht an. Frankreich durfte Frankreich bleiben, wenn auch abgewertet zu einem Protektorat, einem bürokratisch regierten Vasallenstaat, den es in etwas Grösseres einzugliedern galt. Staatlichkeit, Patriotismus und Nationalismus waren für Hitler veraltete Konzepte. Landesgrenzen mochte er nicht. Er dachte und plante in ganz anderen Kategorien. Er wollte etwas Neues. Er wollte das ganz Grosse, das Allergrösste. Eben NICHT das Nationale. Denn ein Nationalist sieht sich als etwas Ab- oder Eingegrenztes. Als etwas Eigenes und Souveränes. Das Eigene definiert sich dadurch, dass es sich vom Anderen unterscheidet. Insofern liegt im Nationalismus immer auch eine Art Pluralismus. Es gibt verschiedene Nationen und dadurch eine Verschiedenartigkeit im Ganzen. Aber auch in sich ist jede Nation verschiedenartig, weil sie eine Klammerfunktion erfüllt. So gibt es in der Schweiz fünf oder sechs verschiedene Volksstämme, gefühlte dreihundert Dialekte, vier Sprachen, 26 Kantone mit 6 Halbkantonen, und jede Gemeinde tut, was sie will. Für Hitler war das ein Witz. Wie er überhaupt das Nationale als Witz empfand. Er wollte das Ganze, das Totale, das Globale. Die Herrschaft durch das Eine. Kurzum: Hitler war Globalist.

 

Die Nazis vereinnahmten den Nationalismus, um ihn zu überwinden. Es waren eben keine Nationalisten. Die polnischen Widerstandskämpfer, die den wahrscheinlich heldenhaftesten Aufstand gegen die Nazis ins Werk gesetzt haben, waren hingegen sehr wohl Nationalisten. Und zwar glühende Nationalisten! Nationalismus ist nicht zwangsläufig totalitär. Im Normalfall verhindert und blockiert er genau jene Wahnideen, von denen die Nazis besessen gewesen sind. Von seiner Ursprungsidee her schliesst der Nationalismus - ganz egal, wie hochmütig er sich äussert - die Rechtsstaatlichkeit und das demokratische Subsidiaritätsprinzip nicht aus. Ohne den intakten Nationalstaat und seine ideologische Bejahung steht die Rechtsstaatlichkeit auf der Kippe. Wenn die heutigen Linken den Patriotismus diskreditieren, indem sie ihn mit "Stammesgläubigkeit" gleichsetzen, treiben sie das gleiche falsche Spiel wie die Nazis - und überlassen den Patriotismus denen, die ihn von der anderen Seite her missverstehen. Die von den Linken so heftig kritisierten nationalen Mythen erzeugen nämlich eine Identität, die der rechtsextremen Ideologie der Stammesgemeinschaft widerspricht. Wenn diese Mythen als "rechts" abgestempelt werden, als "dumm" oder "böse", lädt man die Naziskins förmlich dazu ein, das nationalistische Vakuum mit ihren ganz eigenen Vorstellungen zu füllen und auf der Rütliwiese oder beim Hermannsdenkmal einen Tanz der Ureinwohner aufzuführen. Der dann freilich nichts mehr mit Patriotismus zu tun hat. Für die Werte- oder Interessengemeinschaft, die im Nationalen zusammengehalten wird, sind patriotisch aufgeladene Brauchtümer das Äquivalent zum Vereinsbummel, bei dem die Mitglieder eines Dorfvereins den inneren Zusammenhalt stärken, indem sie ihre Beizen besuchen, ihre Lieder singen und ihre Ansprachen halten. Im übrigen ist der Verein - die Nation im Kleinen - eine Art Zweckgemeinschaft, der man beitreten und aus der man austreten kann. Und wer den Vereinsbummel nicht mag, kann eine Änderung der Statuten beantragen - oder den Vereinsbummel ganz einfach schwänzen. Hier geht es nicht um Clan-Rituale und ewige Blutschwüre. Diesen Unterschied müsste man den Linken mal erklären. Und den gleichen Unterschied müsste man auch den Rechtsextremen erklären. Auf beiden Seiten finden wir die gleiche Idiotie. Wobei die Linken schwerer zu entschuldigen sind. Sie brauchen nicht einmal extrem zu sein, um solchen Irrtümern aufzusitzen. Nationalismus und Nazi klingen zwar ähnlich, bilden aber einen scharfen Gegensatz. Ausserdem halte ich die modische Unterscheidung zwischen Patriotismus und Nationalismus für ziemlich durchsichtig. Patriot ist man, wenn man man das eigene Land liebt, ohne andere Länder abzuwerten. Nationalist ist man, wenn man andere Länder überfällt, weil man sich für etwas Besseres hält. Das ist ja schön und gut. Aber solche Kriterien bewegen sich eigentlich auf Kindergarten-Niveau. In Wirklichkeit bezeichnet "Nationalismus" nichts anderes als die ideologische Bejahung des Nationalstaats. Die Abwertung des Begriffs ist ihrerseits ideologisch motiviert - und insofern nicht ganz unproblematisch. Patriotismus, um das auch noch zu klären, ist ein Nationalismus, der sich festlich oder volkstümlich gibt, seine Zelebration sozusagen. Wenn ich als Intellektueller die Nation befürworte, bin ich Nationalist. Wenn ich am Erstaugust auf meinem Alphorn "Dr Bärgmorge" spiele, bin ich Patriot. Und wenn ich als Intellektueller, der die Nation befürwortet, auf meinem Alphorn "Dr Bärgmorge" spiele, bin ich beides.

 

Natürlich ist der Nationalismus - wie alles Menschengemachte - nicht unschuldig. Aber in der historischen Gesamtschau greift die pauschale Schuldzuweisung dann doch zu kurz. Wer wissen will, warum es überhaupt Nationen oder Staaten gibt, sollte sich mit dem Westfälischen Frieden befassen. Der Dreissigjährige Krieg wurde durch Grenzziehungen und territoriale Autonomien beendet. Von seinem Ursprung her steht das Nationale für Frieden - und nicht für Krieg. Und auch in den folgenden Jahrhunderten ist es oft ein Segen gewesen. Es hat die Menschen aus feudalen Abhängigkeiten befreit, aus Fremdherrschaft und Fremdbestimmung. Auch der autoritäre Untertanenstaat wurde letztlich durch den Nationalismus überwunden. Im 19. Jahrhundert war der "nationale Gedanke" vorwiegend eine Bewegung von unten, eine Emanzipationsbewegung. Und der Erste Weltkrieg war nicht das Ergebnis nationalistischer Eigenbrötelei, sondern einer verfehlten Grossmachts- und Bündnispolitik. Eine einzige Adelsfamilie hat Europa wie einen Kuchen unter sich aufgeteilt, hat Bündnisse geschmiedet und geheime Absprachen getroffen, weil keiner in dieser Familie den Hals voll kriegen konnte. Mit dem Ergebnis, dass man das Tischtuch zerrissen und sich die Kuchenstücke gegenseitig ins Gesicht geklatscht hat. Nationalismus war nur die Fassade, "Opium fürs Volk". In Wirklichkeit wurde Europa von einer einzigen übernationalen Clique regiert. Darin - und nicht im Nationalismus - lag das Übel, das Europa ins Verderben gestürzt hat. Und der Zweite Weltkrieg folgte aus dem Ersten Weltkrieg. Als Frucht eines faulen Friedens. Und auch hier war nicht der Nationalismus das ausschlaggebende Element. Der von den Nazis propagierte Revanchismus war nur die Vorstufe für das ganz Grosse, das Hitler im Sinn hatte, wenn er in seinem Büro - frei nach Chaplin - mit dem aufblasbaren Globus herumspielte. Von einer Wiederherstellung alter Zustände konnte keine Rede sein. Den Nationalstaat haben die Nazis systematisch zerschlagen. An seine Stelle haben sie eine absurde, im Okkulten verankerte Rassenlehre gesetzt, die Wahnidee einer arischen Weltherrschaft. Etwas Vergleichbares gab es damals nur in Japan: General Ishiwara, der Japan in den Zweiten Weltkrieg geführt hat, vertrat als Anhänger des Nichiren-Buddhismus eine religiöse Lehre, die einen grossen, endzeitlichen Krieg und den Eintritt in eine Goldene Ära japanischer Weltherrschaft voraussagte. Sowohl die Nationalsozialisten als auch die japanischen Nationalisten handelten aus okkult-religiösen Motiven. Auch das wird häufig unterschlagen oder falsch dargestellt. Die Nazis - nicht alle, aber ganz bestimmt die Drahtzieher und Funktionäre - waren quasi-religiöse Fanatiker und Überzeugungstäter, vergleichbar den heutigen ISIS-Kämpfern. Tatsächlich gibt es hier einige frappante Ähnlichkeiten. Die ISIS-Kämpfer haben zwar einen eigenen Staat gegründet, aber eben nicht als Nationalisten, nicht mit der Absicht, sich einzugrenzen und souverän zu sein, sondern mit dem religiösen und totalitären Anspruch, von diesem Staat aus die ganze Welt in Brand zu setzen und zu erobern. Ganz ähnlich haben auch die Nazis agiert. Hanna Arendts These von der "Banalität des Bösen" ist mit Vorsicht zu geniessen. Diese weitum missverstandene These bezieht sich auf einen Mangel an kritischem Bewusstsein und nicht auf einen Mangel an Bewusstsein überhaupt. Die Nazis waren keine Biedermänner. Es waren Visionäre, quasi-religiöse Fanatiker. Das wusste Hanna Arendt ganz genau. Und das wusste auch Helmut Schmidt, als er seine politischen Gegner mit dem Spruch abkanzelte: "Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen." Die Nazis wähnten sich auf einer heilbringenden Mission. Und trotz ihrer ganzen Diffusität und Hirnrissigkeit hatte diese Ideologie doch so etwas wie einen harten Kern, eine einheitliche Zielrichtung. Nicht ein starkes Deutschland, sondern die metaphysisch begründete Weltherrschaft war das Ziel der Nazis. Darin liegt denn auch die epochale Inhumanität, die man zu Recht mit den Nazis in Verbindung bringt. Die Wortverbindung "Nationalsozialismus" verschweigt den Schrecken des Nazismus gleich doppelt. Eigentlich sind die Nazis weder Nationalisten noch Sozialisten gewesen. Beide Ideologien haben sie benutzt, um etwas Neues daraus zu machen. Deshalb ist die Wortverbindung auch nicht völlig falsch. Was sie nicht verschweigt, ist die (damalige) Neuartigkeit dieser Bewegung, ihre moderne Hybridität. Als politische und gesellschaftliche Bewegung stand die NS-Ideologie in einem scharfen Kontrast zu den religiösen Elementen, mit denen sie operierte. Die Nazis waren - ähnlich wie die russischen Bolschewiki und die italienischen Faschisten in den Jahrzehnten vorher - die absolute Avantgarde ihrer Zeit. Sie waren knallharte Globalisten, und die entsprechende Haltung war grundstürzend modern - und eben nicht nationalkonservativ. Es gab nichts, das die Nazis bewahren wollten. Diesen Sachverhalt hat übrigens Hanna Arendt in "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft", einer grossartigen Analyse totalitärer Systeme, umfassend herausgearbeitet. Umso mehr verwundert es, dass man in Deutschland, wo man es eigentlich besser wissen müsste, an einem Nazi-Bild festhält, das auf dem naiven Feindbild der "antifaschistischen" 68er-Bewegung beruht und in keiner Weise den historischen Tatsachen entspricht. In der Entgegensetzung von Sozialismus und Faschismus hat Friedrich Dürrenmatt schon 1974 eine modische Fahrlässigkeit erkannt, einen Denkfehler: "Der Gegensatz zur Demokratie ist nicht der Sozialismus, wie uns gewisse Kreise einzureden versuchen, sondern die Diktatur, und der Gegensatz zum Sozialismus nicht der Faschismus, wie wiederum jene anderen Kreise behaupten, die gleich alles braun sehen, was nicht ihre Farbe trägt, oder wenn nicht faschistisch, so doch faschistoid, wie der modische Fachausdruck lautet..." Die Begriffsverwirrung, die Dürrenmatt diagnostizierte, war ein Ergebnis des Kalten Kriegs. Das Feindbild der selbsternannten "Antifaschisten" entsprach auf der anderen Seite Deutschlands der sozialistischen Staatsdoktrin, die ihre Selbstlegitimation aus dem konstruierten Gegensatz von Sozialismus und Faschismus schöpfte. Und vieles davon hat den Kalten Krieg überdauert. Bis heute gibt es eine spezielle linke Klientel, die den Kampfbegriff "Faschismus" gegen Bürgertum, Nationalismus, Traditionalismus und alle möglichen Formen zivilgesellschaftlicher Konventionen richtet. Der inflationäre Faschismusbegriff hat, wenn auch abgeschwächt, Eingang in den linksliberalen Mainstream gefunden und treibt dort nun die kuriosesten Blüten. Mit fast manischer Beflissenheit stellt man jeden Deutschtümler, Traditionalisten und Patrioten in die Naziecke. Nach diesem Verständnis ist jeder ein Nazi, der in seinem Garten einen Gartenzwerg aufstellt. Als hätten die Nazis bloss eine Schrebergartenkolonie in Besitz genommen. Was aber das Absurdeste daran ist: mit diesem Bild fällt man nicht nur auf den indoktrinären "Antifaschismus" herein, sondern auch auf die Propaganda, mit der sich die Nazis selber inszeniert haben. Die Nazis stellten sich als die "Verkörperung des Deutschtums" dar. Was ungefähr den gleichen Propagandawert hatte wie das sozialistische Freiheitsethos in Ländern, die wie Gefängnisse organisiert waren. Und trotzdem glauben es die Deutschen in ihrem unterschwelligen Selbsthass bis heute: je deutscher, desto Nazi. Genau das haben die Nazis eben auch gesagt: je deutscher, desto Nazi. Die Entnazifizierung hat die nationalsozialistische Diktion nicht beseitigt, sondern lediglich umgewertet. Jenseits dieser bis heute nachwirkenden Propaganda scheint die Mehrheit der Deutschen überhaupt nicht zu wissen, was der Nationalsozialismus gewesen ist. Die Neuen Rechten und die Rechtskonservativen sind nicht mal ein Abklatsch der Nazis. Sie sind schlicht etwas anderes. Ideologisch gesehen hat die AfD - wie die meisten rechtskonservativen Parteien - ihren Ursprung im englischen Konservativismus eines Edmund Burkes. "Rechtsextrem" - egal, in welcher Auslegung - bedeutet nun mal etwas anderes: dafür fehlt der AfD ganz eindeutig die sozialistische Komponente und vor allem auch der Strassenschläger-Groove einer Antifa, nebst einigen anderen Zutaten, ohne die der Begriff "rechtsextrem" zu einer Gummikeule wird, die man jedem beliebigen politischen Gegner überziehen kann, ohne dass er eine Beule bekommt.

 

Natürlich schadet es nicht, wachsam zu sein. Ist das Weltbild der neurechten Parteien und ihrer Wähler wirklich so harmlos? Liegt hier nicht doch irgendwo ein Hund begraben? Ein deutscher Schäferhund vielleicht? Zweifellos fühlen sich Neo-Nazis von der AfD angezogen. Die Grenze zur NPD wie auch zu allerlei anderen Rechtsaussen-Vereinen ist ziemlich durchlässig. Doch was ist überhaupt ein Neo-Nazi? Ein Neo-Nazi ist jemand, der an die Überlegenheit der weissen Rasse glaubt, täglich den Hitler-Gruss vor dem Spiegel übt, "Mein Kampf" auf dem Nachttischchen liegen hat, den Wecker auf 5 Uhr 45 stellt, bei einem nächtlichen Waldpicknick mit Gleichgesinnten "Sieg Heil!" brüllt und die Juden hasst. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, wer also kein Rassist von Rosenbergs Gnaden ist und sich nicht zur Ariosophie bekennt, kann ein Unmensch, ein Menschenfresser, ein Spinner, ein Halunke, ein Malefizbube, ein Fremdenfeind, ein Islamkritiker, ein Regierungskritiker, ein Rechtsmarxist, ein Rechtskonservativer, ein palästinafreundlicher Antisemit, ein Polit-Rüpel, ein Assi, ein intoleranter Mitbürger oder sonstwas sein. Aber ein Neo-Nazi ist er nicht. Übrigens sind auch die Gewalttäter der Gruppe Freital nicht durchwegs der Neo-Nazi-Szene zuzuordnen. Die meisten von ihnen wissen wahrscheinlich nicht einmal, wer Hitler gewesen ist. Hier wird der Begriff "Rechtsextremismus" ziemlich schwammig. Bist du gegen Ausländer, bist du ein Rechtsextremer. Treffender wäre wahrscheinlich: jeder Neo-Nazi ist ein Fremdenfeind, aber längst nicht jeder Fremdenfeind ein Neo-Nazi. "Gegen Ausländer sein" gehört nicht unbedingt zum Grundrepertoire der Nazi-Ideologie. Hitler hat gegen Juden, Plutokraten und Bolschewiken gewettert, aber gegen Ausländer meines Wissens nie. Er war ja selber einer. Und wie steht es mit den vielbeschworenen "Nazis in Nadelstreifen"? Auch hier hat man einen Strohmann aufgebaut. Politische Inkorrektheit macht noch niemanden zum Nazi. Und wer als echter Nazi eine politische Karriere einschlägt, entlarvt sich zwangsläufig als Idiot, als Karikatur seiner selbst. Die NPD hat gerade deshalb keine Chance auf einen relevanten gesellschaftlichen Einfluss, weil sie braun ist. Nicht vollständig braun, aber zumindest ein bisschen angebräunt. Was teilweise bis zum Tiefdunkelbraun einer dick blubbernden Klärgrube gehen kann. Die Übergänge zur Neo-Nazi-Szene sind fliessend. Um nicht zu sagen: dickflüssig. Das mag beunruhigend sein. Doch andererseits führen diese Übergänge in eine in sich abgeschlossene Subkultur, ein spezielles Feuchtbiotop, das man auch als braunen Sumpf bezeichnen könnte. Nur dort können Neo-Nazis bestehen und gedeihen. Nur dort können sie ihre Reichsparteitag-Nummer abziehen. Im Tageslicht der echten Politik zerfallen sie mitsamt ihrer schrägen, grotesk unzeitgemässen Ideologie zu Staub. Es sind Vampire. Solche Nachtgespenster werden keine historische Relevanz mehr haben. Versuchen sie sich anschlussfähig zu machen, ist das ungefähr so, als würde ein Ritter in voller Ritterrüstung an einem Militärmanöver der NATO teilnehmen. Die deutsche Angst (eine typische "German Angst") vor einem Wiederauferstehen der Nazis, die mit viel Geschrei und Gefuchtel in die AfD und in die Neuen Rechten hineinprojiziert wird, ist schlichtweg kindisch. Wir leben im 21. Jahrhundert, und die Rechten von heute sind nicht die Rechten von früher. Die AfD, der Front National, die Identitäre Bewegung: sie alle revoltieren. Aber das ist auch schon alles, was sie gemeinsam haben. Es gibt hier nirgends ein Grossprojekt wie das "Dritte Reich" der Nazis. Und es gibt auch keine gemeinsame Paranoia, die die verschiedenen Richtungen zusammenschweissen könnte: wie damals der Antisemitismus. Im Gegenteil. Ich sehe eine riesige Zersplitterung. Die einen sind aufmüpfige Konservative, die das rechtsliberale Bürgertum erneuern wollen, die andern wollen ein christliches Europa, die Dritten stehen auf einer stramm sozialistischen Linie, die Vierten wollen ins Kaiserreich zurück, die Fünften polemisieren gegen die EU, und die Sechsten schwelgen in altdeutscher Romantik und burschenhafter Herrlichkeit. Im zeitgenössischen Kontext ist der typische Rechte (der "Nazi") eine Schimäre. Und wie steht es mit den völkisch denkenden Rassisten, die es wohl noch gibt? Ja, die gibt es. Aber um ehrlich zu sein: sie sind vom Aussterben bedroht. Man müsste sie unter Artenschutz stellen und in einen Zoo sperren, damit man irgendwo noch ein paar "echte Nazis" zu sehen bekommt: wertvolles Anschauungsmaterial. Diese Nazis sind nämlich überzeugt, einer "überlegenen Rasse" anzugehören. Das macht ihnen das Leben ziemlich schwer. Sie haben den ganzen wissenschaftlichen Diskurs gegen sich. Neo-Nazis scheitern schon an der elementarsten Logik. Welches Volk meinen sie, wenn sie völkische Parolen schwingen? Rechtes Denken, das sich auf kulturelle Entitäten bezieht, kann das Nationale nur als Klammerbegriff gebrauchen. DEN Deutschen gibt es nicht. Aber es gibt Schwaben und Ostfriesen, und das Deutsche ist das, was sie einklammert. Was diese Klammer zu bedeuten hat und inwiefern sie überhaupt von Bedeutung ist, kann man als Streitfrage betrachten. Und da sind die Neuen Rechten - im Unterschied zu den Neo-Nazis - um eine Definition bemüht, die meistens in die neokonservative Richtung geht und die eigene Identität als Kulturgemeinschaft definiert. Denn mit Rassismus - dem Völkischen im engeren Sinne - ist buchstäblich kein Staat mehr zu machen. Sobald sich das rechte Denken auf "Rassen" bezieht, führt es sich selber ad absurdum. Gibt es überhaupt menschliche Rassen? Nach aktuellem Forschungsstand ist diese Frage mit Nein zu beantworten. Menschen sind keine Hunde. Wer sich heute noch auf einen pseudowissenschaftlichen oder okkulten Rassismus beruft - und nur DAS ist echter Rassismus - zehrt vollends von einem historischen Restbestand. Dasselbe gilt natürlich auch für die Anti-Rassisten, die auf die gleiche Schimäre hereinfallen. Der politisch korrekte Pipifax-Mahnfinger, der aus allem und jedem einen Rassismusvorwurf herauskitzelt, ist eigentlich schon Beweis genug, dass es echten Rassismus kaum noch gibt. Die Angst vor Rassisten, Nazis und ähnlichen Nachtgestalten hat schon längst eine Art Bölimann-Funktion übernommen. Vielleicht weil man die wirklichen Bösewichte nicht mehr benennen kann. Sie verstecken sich hinter einem neo-ökonomischen System. Sie agieren anonym und unsichtbar. Und sie verletzen auch nicht die Political Correctness. Eines ist hundertprozentig klar: wir leben heute unter völlig anderen Bedingungen als die Menschen in der Weimarer Republik. Wir haben keinen Weltkrieg verloren. Wir haben keinen Modernisierungsschub erlebt, der alles zerrüttet hat. Wir haben (noch) keine Massenverelendung. Und die geistige Landschaft ist eine völlig andere als in den Zeiten von Oswald Spengler und Co. Dass die Neue Rechte die Denkmuster der "konservativen Revolte" zu reaktivieren versucht, kann man nur als Revolte gegen das Regime einer indoktrinären Globalisierung auffassen, als Opposition gegen die bedrohlich erstarkte Gemengelage aus Neoliberalismus, Gouvernementalität, Identitäts- und Biopolitik, Blockparteienpolitik und einem auf Schleichwegen eingeführten Gesinnungssozialismus. In dieser hochbrisanten Mischung realisiert sich ein Liberalismus, der die Menschen gegen jeden demokratischen Konsens "ökonomisiert" und sozial steuert. In Deutschland geschieht dies mit einer Rücksichtslosigkeit sondergleichen: Merkels Austeritätspolitik - um nur ein besonders signifikantes Beispiel dieser selbstherrlichen und sich selbst als "alternativlos" anpreisenden Politik zu nennen - hat hier ganz neue Massstäbe gesetzt. Mit Blick auf Deutschland und vor dem Hintergrund seiner doppelt totalitären Vergangenheit stellt sich in diesem Zusammenhang immer öfter die Frage, wer nun eigentlich die Bösen sind. Und das ist wahrscheinlich der grösste Unterschied zu früher: die Linken haben sich weitgehend absorbieren lassen. Ihre Moral, die sie gegen die "bösen Rechten" ständig ins Feld führen, ist Teil einer neulinken "Schutzraumpolitik", die von den Liberalen und Neoliberalen als Alibi vor den eigenen Karren gespannt wird. Anders als früher gehören die Linken heute zum Establishment, und ihre Moral, so ehrlich sie auch gemeint sein mag, schützt indirekt die Macht des globalisierten Kapitals. Und so diktieren sie im Einklang mit den Liberalen die öffentliche Meinung. Was den Neuen Rechten eine ziemlich grosse Angriffsfläche bietet. Denn diese können sich nun als Vertreter der "kleinen Leute", respektive der Globalisierungsverlierer gross in Szene setzen. Eine Chance, die die Linken verpasst haben. Mit dem, was sich in der Weimarer Republik abgespielt hat - vor dem Hintergrund eines verlorenen Krieges - hat das alles überhaupt nichts zu tun. Die Beweggründe für rechte oder linke Proteste sind andere als damals, die Konflikte sind andere als damals, und auch das Links-Rechts-Verhältnis ist heute ein fundamental anderes. Wo sind denn die militanten Kommunisten?  Es gibt sie nicht. Wenn die heutigen Linken Kommunisten sind, dann bin ich der Kaiser von China. Ähnlich ist höchstens die Stimmung, das Überreizte und Überhitzte, das Gefühl, als stünde alles kurz vor der Explosion. Doch darin liegt auch ein Hang zur Selbsttäuschung, zur Hysterie. Die tatsächlichen Fatalitäten - und das haben Fatalitäten so an sich - ereilen uns nicht mit Ansage. Den Holocaust hat niemand vorausgeahnt, mit Tschernobyl hat niemand gerechnet, mit dem 11. September und seinen Folgen ebensowenig, und so wird es auch mit zukünftigen Katastrophen sein. Wir können beruhigt sein. Was man befürchtet, kommt nie. Es kommt immer nur das, was niemand auf dem Radar hat, es kommt aus dem toten Winkel, wo niemand hinschaut. Deshalb wird es mit Sicherheit keinen neuen Hitler oder Mussolini geben. Deshalb sind Schlagzeilen wie "Die Rechten übernehmen Europa" oder "Der braune Mann geht wieder um" ein Witz. Weder ist rechtsextremes Gedankengut gesellschaftsfähig noch ist der Rechtsextremismus eine Bedrohung für die Gesellschaft. 

 

An der Widerwärtigkeit der Neo-Nazis ändert das freilich nichts. Im politischen Kampf sollte man prinzipiell immer auf die Stärkeren losgehen. Das alte Che-Guevara-Prinzip, das allerdings von den Linksradikalen auch nicht immer eingehalten wird. Da werden Regierungsgegner eingeschüchtert, AfD-Büros verwüstet, friedliche Proteste gestört und ganze Stadtviertel in Schutt und Asche gelegt. Im Gegensatz zu diesem Mob, der ein weitverzweigtes medial-politisches Kartell hinter sich weiss, bleibt den Neo-Nazis die Breitenwirkung versagt, und die übertriebenen Kampagnen "gegen Rechts" sind alles in allem ein bisschen lächerlich. Vor allem weil solche Kampagnen, um sich überhaupt legitimieren zu können, gezwungen sind, jeden zum Rechtsextremen zu erklären, der den Islam kritisiert, gegen Überfremdung protestiert oder sonstwelche Ansichten vertritt, die dem politischen Machtsystem gefährlich werden könnten. Bei genauerem Hinsehen sind das ja vorwiegend Ansichten, die mit der Friedensbewegung, der Anti-Globalisierung, dem Rechtskonservativismus und der EU-Skepsis zusammenhängen. Was hier zusammenkommt, ist so uneinheitlich wie fliessend. Es apodiktisch als "rechtsextrem" abzustempeln - wie man das beispielsweise mit der vom Alt-Linken und bekennenden Marxisten Jürgen Elsässer gegründeten Zeitschrift "Compact" macht, die keineswegs rechtsextrem ist, sondern lediglich regierungs- und systemkritisch - hat etwas von einem Schildbürgerstreich. Das Problem am heutigen Deutschland besteht darin, dass bald jeder zweite Deutsche den Nazi-Stempel auf dem Rücken hat, obwohl die echten Neo-Nazis - objektiv betrachtet - eine winzig kleine, wenn auch hochkriminelle Gruppe sind. So geht der "Kampf gegen Rechts" natürlich in die Hosen.

 

Nun gibt es tatsächlich einige echte Neo-Nazis, die bei Pegida mitmarschieren und die AfD toll finden. Was allerdings gar nicht so aussagekräftig ist angesichts der Tatsache, dass die AfD und vergleichbare Parteien verhältnismässig viele Wähler aus dem linken, liberalen und konservativen Spektrum abholen. Demoskopische Untersuchungen ergeben das Bild eines breiten gesellschaftlichen Querschnitts. Die AfD ist eine Sammelbewegung, die keineswegs nur von rückständigen Wutbürgern und Morgenluft witternden Neo-Nazis getragen wird. Die Lage ist eine ganz andere. Für die Linksliberalen könnte das wirklich noch sehr ungemütlich werden. Die Nazi-Keule erweist sich als nutzlos. Man hat es versäumt, intellektuell nachzurüsten. Die Waffe ist veraltet, und das Feindbild stimmt nicht mehr mit der Realität überein. Die Neue Rechte, die als metapolitische Bewegung der AfD vorausgeht oder sie begleitet, ist kein Spinnerverein. Und dumm sind diese Leute auch nicht. Der von ihnen vertretene Ethnopluralismus ist nicht, wie von den Linken oft unterstellt, rassistisch oder völkisch. Einer der wichtigsten Vordenker der Neuen Rechten, der französische Publizist und Philosoph Alain de Benoist, wandte sich mit diesem Begriff gegen jede Form von Totalitarismus. Vor allem gegen Nationalsozialismus und Kommunismus, aber auch gegen den "totalen" Liberalismus. Der Ethnopluralismus vertritt eine nicht-relativistische Gleichwertigkeit verschiedener Ethnien (= Kulturgemeinschaften). Sein Pluralismus ist ein Pluralismus der Trennschärfe, der Differenz, der festen Konturen. Er möchte verhindern, dass ethnische Verschiedenheiten in einem Einheitsbrei aufgehen. Damit setzt sich der Ethnopluralismus in Widerspruch zu einem Toleranz-Ethos, das Grenzen und Trennungen aufheben möchte und ethnische Identität nur bei schutzbedürftigen Minderheiten akzeptiert, die in linksgrün protegierte Reservate gesperrt werden können. Multikulturalismus, so die ethnopluralistische Kritik, bedeutet nichts anderes als Bevormundung und Selbstverleugnung. Während man auf volkspädagogischen Multikulturalismus setzt, spricht man der eigenen Ethnie das Recht auf eine kollektive Identität ab. Was die Berber, Turkmenen und Dogon dürfen, das dürfen die Wikinger, Germanen und Alpenötzis nicht. Diese Ungleichbehandlung - ein Messen mit zweierlei Mass - offenbart einen ideologischen Widerspruch, eine heimliche oder gar offene Geringschätzung nicht nur jener Ethnien, die keinen Opfer-Status geniessen, sondern auch des Fremden, das man kulturrelativistisch instrumentalisiert, anstatt es in seiner Fremdheit zu würdigen, was eine gewisse Distanz voraussetzen würde, einen Abstand des Respekts: das Gegenteil von nett verfitztem, kuschlig unverbindlichem Multikulti. Hier liegt wohl der eigentliche Hund begraben. Die Ethnopluralisten treffen ihre Gegner an der Achillesferse, dort, wo die linksliberale Weltsicht ein bisschen dysfunktional ist. Der Bruch mit dem "totalen" Liberalismus ist ein Tabubruch, den die aufgescheuchte Gegenseite entsprechend radikal unter Beschuss nimmt. Wer nicht spurt, ist ein Rassist. In seinem Buch "Die Angstmacher" hat sich der linke Soziologe Thomas Wagner kritisch mit den Neuen Rechten auseinandergesetzt, und er hat diesen Punkt deutlich hervorgehoben: man kann den Neuen Rechten vieles vorwerfen, aber eben keinen Rassismus. Sobald man sich etwas differenzierter mit dem Phänomen des "rechten Randes" auseinandersetzt, fällt einem auf, dass sich der medial gelenkte Mainstream allzu leichtfertig auf eingespielte Denkmuster verlässt und die Störgeräusche einer unliebsamen Realität mit einem moralisch korrekten Rauschen zu übertönen versucht. Die Linken sind von den bösen Rechten (den "Nazis") wie hypnotisiert: eine Art Selbsthypnose, die das Versagen des eigenen Paradigmas ausblenden soll. Das unheilige Bündnis zwischen Linken und Liberalen, das die Systemkonkurrenz des Kalten Kriegs abgelöst hat, steht im Begriff, an der Realität zu scheitern. Oder besser gesagt: an der eigenen kognitiven Unfähigkeit. Was der AfD Zulauf beschert, ist nicht eine böswillige Demagogie, sondern die katastrophale Politik der etablierten Parteien. Der "totale" Liberalismus, den diese Parteien vertreten, wird als Zukunftsoption zunehmend fragwürdiger. Es ist nicht der sogenannte Rechtspopulismus, was die Gesellschaft spaltet, sondern das liberale Ethos einer kulturrelativistischen Toleranz in Kombination mit dem neoliberalen Ökonomisierungszwang. Vor allem mit letzterem hat sich der Harvard-Professor Dani Rodrik eingehend beschäftigt. Die grösste Gefahr für die westlichen Gesellschaften sieht er nicht im Populismus, sondern im ökonomisch motivierten Umbau der Demokratien zu "liberalen Autokratien". Dies sei ein Projekt "weltoffener Eliten", die die Demokratien zunehmend gegenüber Forderungen der Bürger nach Rechenschaftspflicht abschotteten und sich hinter Vorwürfen von "Hass" und "Hetze" verschanzten. Diese Eliten, so Rodrik, tarnten ihren radikalen Wirtschaftsliberalismus als "Freiheitlichkeit" und "Weltoffenheit" und stünden nun im Begriff, die regulierenden Nationalstaaten in einen unregulierten Weltmarkt zu überführen. Aus Rodriks Analyse, die meiner Überzeugung nach das politische Zeitgeschehen hellsichtig erfasst und auf den alles entscheidenden Punkt bringt, kann man eine mehrstufige Handlungsmaxime ableiten. Werde Marxist. Halte jedoch eisern an der nationalstaatlichen Souveränität fest. Und schiebe die Schuld am gegenwärtigen Schlamassel nicht den Rechtspopulisten zu. Denn sie sind die einzige wirksame Opposition. Freilich gibt es auch bei den Rechtspopulisten ein paar Wirtschaftsliberale. Auch bei der AfD, die man in diesem Punkt durchaus mit der SVP vergleichen kann, gibt es einen turbokapitalistischen Flügel, der das rechtsnationalistische Parteiprogramm auf seine Weise bereichert. Und hier sollte man wirklich misstrauisch sein. Wobei man nicht den Fehler machen sollte, den viele Linke machen, die Rechtspopulismus und Neoliberalismus ins Blickfeld einer einzigen ideologischen Kritik rücken: als ob es sich um zwei Seiten der gleichen Medaille handeln würde! Das ist falsch. Es stimmt zwar, dass wirtschaftsliberale Rechtspopulisten - nicht ALLE Rechtspopulisten sind wirtschaftsliberal, manche sind auch stramm links, der "rechtsextreme" Front National hat die meisten Linksparteien links überholt - eine Neigung zum Nepotismus haben. In der Schweiz nennt man das "Vetterliwirtschaft". Wenn die Linken diese Neigung anprangern, ist das nichts weiter als ein dünn hüstelndes Alibi, das vom Mangel an substantieller Kapitalismuskritik ablenken soll. Ausserdem liegt darin eine Verwechslung oder Verwischung politischer Randpositionen. Ein Rechtsextremer ist in der Regel kein Superkapitalist, und ein Superkapitalist ist in der Regel kein Rechtsextremer. Ein Nationalkonservativer ist in der Regel kein Rechtsextremer, und ein Rechtsextremer ist in der Regel kein Nationalkonservativer. Und schliesslich noch die letzte Gleichung, die nicht aufgeht: ein Nationalkonservativer ist in der Regel kein Superkapitalist, und ein Superkapitalist ist in der Regel kein Nationalkonservativer. Dank einer terminologischen Verwirrung kann man aber alle diese Positionen in den gleichen Topf schmeissen: in den Topf für die "Rechten". Und da die Nazis, zumindest nach landläufiger Meinung, "Rechte" gewesen sind, müssen die "Rechten" natürlich alles irgendwie Nazis sein. Nach dieser Logik ist alles Grüne eine Gurke und alles Gelbe eine Zitrone.

 

Niemand soll gezwungen sein, die AfD sympathisch zu finden. Unfehlbar ist sie keineswegs. Aber unter den Blinden ist halt der Einäugige schnell mal König. Das ertragen die AfD-Hasser nicht, weil es ein zweifelhaftes Licht auf sie selbst wirft. Die AfD ist eine ganz normale bürgerliche Partei, für meinen Geschmack vielleicht etwas zu bürgerlich, vielleicht auch eine Spur zu wirtschaftsliberal. Als Deutscher würde ich sie mit Sicherheit nicht wählen. Was kein Grund für mich wäre, in der AfD einen Nazi-Sympathisanten-Verein zu sehen. Gerade in dieser Bezichtigungsstrategie sehe ich die eigentliche Gefahr, den eigentlichen Extremismus. In Deutschland sehe ich eine Menge Feuerwehrleute, die Brände legen, Moralapostel von der übelsten Sorte.... Okay, ich rede mich heraus. Ich bekenne mich schuldig: ich bin ein Nazi. Aber kann das überhaupt sein? Sind die heutigen Nazis nicht bekannt dafür, dass sie krampfhaft behaupten, sie seien keine Nazis? Kann ich überhaupt ein Nazi sein, wenn ich mich freimütig als Nazi oute? So wie in der Vergangenheit aus dem Begriff "Ketzer" eine positive Kennzeichnung wurde - ein Ketzer ist mutig, er widerspricht den Dogmen und geht dafür sogar auf den Scheiterhaufen - so erhält auch der Begriff "Nazi" allmählich eine positive Unterbedeutung. Natürlich ist hier nicht der historische Nazi gemeint, sondern das allzu leicht verfügbare Etikett der Political Correctness, mit dem man einen politisch oder gesellschaftlich unerwünschten Menschen brandmarken kann. Eine Brandmarkung braucht kein Schandfleck zu bleiben. Wenn sie zum semantischen Selbstläufer wird, kann daraus sogar ein "Branding" werden. (Bekanntestes Beispiel ist die ins Positive gewendete Selbstbezeichnung "Nigger"). Mit dem Nazi-Branding kann man sich durchaus identifizieren, wenn man in der allgemeinen Verwirrung einen eigenen Kopf behalten möchte: lieber ein Unmensch als ein Idiot. Lieber etwas Ungehöriges sagen dürfen, als sich vorschreiben lassen, was sich gehört. Lieber die totale amoralische Freiheit als die Unfreiheit einer unterschwellig totalitären moralischen Korrektheit. Und so wird der Begriff "Nazi" unversehens zum Ehrentitel, den sich auch relativ unverdächtige Leute zu eigen machen. Wir erinnern uns an den Schock, den Lars von Trier vor einigen Jahren an den Filmfestspielen von Cannes auslöste, als er sich an einer Pressekonferenz unbeschwert plaudernd als Hitler-Versteher und Nazi outete. Wie muss man das einordnen? Hat man es hier nur mit der Laune eines psychisch labilen Künstlers zu tun? Ist es Provokationslust? Eine Déformation professionelle? Vielleicht sogar Empathie? Blick da einer in Abgründe hinein, mit denen er gerne kokettiert? Das alles trifft wahrscheinlich zu. Und doch greift es zu kurz. Das Wort "Nazi" hat einen schwerwiegenden Bedeutungswandel durchgemacht. Es hat sich von seinem historischen Kontext fast gänzlich gelöst. In der Popkultur sind die Nazis seit Jahrzehnten fest etabliert: als Dschungel-Terroristen in den "Indiana Jones"-Filmen, als Zombies in "Dead Snow" oder als Mutanten in "Iron Sky". Wenn man so will, hat Hitler sein Ziel erreicht: die Nazis sind ungeheuer populär. Sie sind der letzte Schrei. Sie sind überall dabei. Wir brauchen und benutzen sie, weil wir nicht mehr an den Teufel glauben. Weil das Böse keine fassbare Form mehr hat. Da kommen die Nazis gerade recht. Eine leicht verfügbare Projektionsfläche, weil man damit niemanden verletzen kann, nicht einmal die Deutschen, ein Ego-Schooting-Vergnügen, bei dem man hemmungslos auf die Bösen einballern darf. Die Nazis haben den Vorteil, dass sie uneingeschränkt verdammenswert sind. Und dann sind sie auch noch real! Es sind keine Fantasiefiguren aus den Marvell Studios. In dieser Form ist uns das Böse sehr nah. Und trotzdem ist es auch sehr abstrakt. Irgendwie unfassbar. Eben gerade darum, weil die Nazis keine menschenfressenden Barbaren gewesen sind. Massenmörder, die Schubert-Sonaten hören und Goethe zitieren: da läuft es dem Bildungsbürger kalt den Rücken hinunter! Da trifft Goethe auf Buchenwald, der Wahnsinn bekommt Methode, und die Nazi-Barbarei offenbart ihre ganze Perfidie. In der Rolle des schneidig-kultivierten Nazis kann ein Charakterdarsteller sein ganzes Potential ausspielen, siehe Ralph Fiennes in "Schindlers List" oder Christoph Waltz in "Inglourious Basterds", und im Idealfall kombiniert man das mit einer Prise Shakespeare, bei dem es schon Nazis gab, bevor es überhaupt Nazis gab. Egal, ob im Film oder auf der Theaterbühne, ob komisch oder tragisch, phantastisch oder realistisch: Nazis ziehen immer. Sie faszinieren, weil sie immer noch - und vielleicht mehr denn je - das zeitlos Böse in einer spezifisch modernen Gestalt repräsentieren. Durch die ausufernden Nazi-Bezichtigungen in der aktuellen politischen Debatte hat sich diese Tendenz noch verstärkt. Nunmehr ist der Begriff "Nazi" fast schon so etwas wie ein Ehrentitel, den man sich selber verleihen kann, um sich von der Masse der linken Hohlköpfe abzuheben. Und übrigens auch von den rechten Hohlköpfen, die keine Nazis sind, aber von den linken Hohlköpfen derart ausgiebig als "Nazis" beschimpft werden, dass man den zur Hohlformel erstarrten Begriff, dieses moderne Synonym des mittelalterlichen "Gottseibeiuns", wie eine Jux-Handgranate verwenden kann, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Eine billige Provokation? Mag sein. Aber die Tatsache, dass die Festivalleitung den dänischen Meisterregisseur umgehend zur "unerwünschten Person" erklärt und bis heute (der verbale Sündenfall ereignete sich im Jahr 2011) vom regulären Wettbewerb ausgeschlossen hat, sagt doch einiges aus über die absurde neulinke Selbstprofilierung und Ächtungsstrategie. Es genügt also, öffentlich zu sagen, man sei ein Nazi, um als Nazi zu gelten und in Acht und Bann zu geraten. Zu sagen, mein sei ein Nazi, ist nach dieser Logik etwa gleich schlimm wie die Teilnahme an einem Massenmord oder dessen Duldung. Entspricht das nicht genau dem neulinken Denken einer verfahrenen Identitätspolitik, die die Deklarierung ständig mit der Realität verwechselt? Entspricht es nicht genau dem neulinken Hang zur Symbolpolitik, wo das Sprechen und Benennen als realitätsstiftend gilt, während man die eigentliche und wirkliche Realität vollkommen ausblendet, in der Art eines Don Quichotte, der die Windmühlen zu Riesen macht, indem er sie als Riesen bezeichnet? So ticken auch die heutigen Linken. Wenn ein Mann behauptet, er sei eine Frau, dann gilt er als Frau. Und umgekehrt. Wer die Logik dahinter versteht, der versteht auch, warum die Salon-Linken mit ihrem Nazi-Bashing nur noch ins Leere schlagen. Ein Nazi ist, wer als Nazi bezeichnet wird oder sich selber als Nazi bezeichnet. Willkommen in der schönen neulinken Welt der Bann- und Zaubersprüche!

 

 

Seitdem die Linken nur noch damit beschäftigt sind, politisch unkorrekte Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, und mit der Engstirnigkeit eines Hilfsbademeisters, der unbedingt befördert werden will, überall rote Linien ziehen, die man nicht übertreten darf, ohne als Nazi dazustehen, habe ich grosse Hemmungen, mich selber als Linken zu bezeichnen. Manchmal komme ich sogar in Versuchung, mich mit neurechten Denkern anzufreunden, weil der aktuelle Diskurs der Linken nur noch Plattitüden erzeugt. Die Linken haben es fertiggebracht, sich völlig ins Abseits zu befördern. Dennoch bezeichne ich mich normalerweise als Linken. Und ich werde nicht einmal rot dabei! Ohne Marx hätte ich Mühe, die Gesellschaft und das Weltgeschehen zu verstehen. Und Marx ist - nach meinen Begriffen zumindest - der Schlüssel zum Linkssein. Es kann aber auch sein, dass ich nur aus Gewohnheit ein Linker bin. Oder aus Bequemlichkeit. Wenn einem der Kapitalismus am Arsch vorbeigeht, ist man halt ein Linker, und insofern bin ich konsequent: wer sein Pöstchen, sein Vermögen und seine sozialen Privilegien in trockene Tücher gebracht hat und sich als "links" bezeichnet, ist in meinen Augen ungefähr so links wie ein Bankdirektor, der ein Che-Guevara-T-Shirt trägt. Die Linken - oder die meisten von ihnen - mag ich gerade deshalb nicht, weil ich selber links bin. Vielleicht bin ich sogar soweit links, dass ich schon fast wieder rechts bin, wo sich die Katze in den Schwanz beisst. Andererseits sehe ich einfach Dinge, die stimmen. Und ich sehe Dinge, die nicht stimmen. Ich sehe zum Beispiel, dass die AfD nicht überall unrecht hat. Und ich spreche mich sehr dafür aus, dass man diese Partei und ihre Wähler fair behandelt. (Es sind zahlreiche Fälle belegt, in denen AfD-Sympathisanten aufgrund ihrer politischen Einstellung den Job verloren haben oder sonstwie kaltgestellt wurden. Das erinnert an die McCarthy-Ära. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist in Deutschland nur noch auf dem Papier gewährleistet). Ich würde es auch sehr begrüssen, wenn man die Anti-Nazi-Rhetorik gegen die AfD als das erkennen würde, was sie ist: als ein hirnloses Geschwätz ohne Inhalt und Boden. Wenn überhaupt irgendwo, dann liegt hier der Keim für einen zukünftigen Totalitarismus. Wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein. Wenn du jeden als Nazi verteufelst, der nicht auf deiner Wellenlänge liegt, bist du vielleicht schon drauf und dran, in einen neuen Totalitarismus zu schlittern. Dabei ist das noch nicht einmal das Schlimmste. Die verbissene Anti-Nazi-Rhetorik spielt den wahren Totalitaristen und Extremisten auf allen Seiten in die Hände: den militanten White-Power-Skinheads, weil der inflationär gestreute Nazi-Verdacht den Rechtsextremismus, wo er tatsächlich vorhanden ist, verharmlost. Den Islamisten, denen es hervorragend in den Kram passt, wenn Islamkritik als faschistoid hingestellt wird. Dem Sultan vom Bosporus, der sich diebisch über die Nazi-Keule freut, mit der er die Deutschen nach Lust und Laune traktieren kann. Und nicht zuletzt auch den Old-Left-Extremisten, die glücklich darüber sind, dass ihnen das überkochende Rechten-Bashing die Möglichkeit gibt, unter der Fahne des "Antifaschismus" zur Hexenjagd auf Andersdenkende aufzurufen.

 

Die Hysterie rund um die Neuen Rechten und die sogenannten Rechtspopulisten ist mir schleierhaft. Auch bei den Umzügen von Pegida und Co. braucht es schon sehr viel Paranoia, um darin eine Bedrohung für die Demokratie zu sehen. Was könnte demokratischer sein? Hier artikuliert sich Unmut. Hier wird demonstriert. Das ist die Quintessenz von Demokratie. Ich erkenne das Bedrohungspotential nicht. Jahrzehntelang hat man dem Durchschnittsbürger vorgehalten, er interessiere sich zu wenig für Politik. Er engagiere sich zu wenig für seine Anliegen. Er würde nur vor der Glotze hocken und sich propagandistisch berieseln lassen. Und jetzt endlich schüttelt er seine Lethargie ab, befreit sich vom Gedöns der zwangsgebührenfinanzierten Staatspropaganda und kommt aus seinem Loch heraus, und plötzlich hackt das ganze Establishment auf ihm herum und schimpft ihn "Wutbürger" und "Nazi-Spiesser". Egal, was er macht: er ist immer der Depp. Ich sage da nur: endlich! Endlich geht die Politik wieder auf die Strasse! Endlich artikuliert sich eine existentielle politische Wut, die die Mächtigen nervös macht. Und in Deutschland ist das ja noch weit von einer Revolution entfernt. Man merkt, dass es die Deutschen nicht gewohnt sind, mit der Mistgabel zu politisieren. Die Schweizer und Franzosen können das viel besser. Nur haben sie vielleicht weitaus weniger Grund dazu. Und was die gefürchtete "rechte Radikalisierung" betrifft: in ihren Proklamationen und Zielsetzungen ist die AfD nicht viel subversiver als ein Kegelverein. Da ist ja unsere grundgemütliche SVP noch extremer. Ich habe das Parteiprogramm der AfD durch sämtliche Dechiffrierungsmaschinen laufen lassen und auf jede Form von Understatement oder Subtext überprüft, und ich war, um es zynisch zu formulieren, bitter enttäuscht: von braunem Gedankengut keine Spur. Die Mahnfinger-Fraktion sieht hier anscheinend etwas, das ich nicht sehen kann. Oder anders gesagt: sie sieht, was sie sehen will. Und ich weiss auch, wie das funktioniert. Die Methode ist altbewährt. Man warnt vor einem Teufel, den man selber an die Wand gemalt hat. Eine Methode, die viel zum Fortbestand von Religionen beiträgt. Zufällig befindet sich Deutschland in diesem Jahr nicht nur im Wahlfieber, sondern auch im Fieber des Reformationsgedenkens. Und wieder einmal sind es die deutschen Christen, die ganz genau wissen, was gut und was böse ist. "Unser Kreuz hat keine Haken". Unter diesem Motto, das seinerseits durchaus einen kleinen Haken hat, protestiert die christliche Glaubensgemeinschaft von Köln gegen die AfD, den neudeutschen Inbegriff des Bösen. Doch wer protestiert hier eigentlich? Und mit welchem ideologischen Hintergrund? Es ist die gleiche Glaubensgemeinschaft, die den Judenhasser Luther hochschätzt und sich im Dritten Reich den Nazis angedient hat und aktuellerweise den Islamisten in den Allerwertesten kriecht, zum Beispiel am evangelischen Kirchentag. Es ist ein Club der theologischen Einfaltspinsel und der kleinen selbstgerechten Kirchenlichter... Herrgott, lass es Hirn regnen!

 

Nicht weniger stumpfsinnig fallen die Reaktionen der Politiker aus. Ich frage mich, wie der deutsche Bundesaussenminister dazu kommt, die biederen AfDler als "echte Nazis" zu beschimpfen. Echte Nazis! Das ist ja allerhand! Welche Steigerungsform ist da überhaupt noch möglich? Hunderttausend heulende Höllenhunde! Nach so vielen gegenstandslosen Nazi-Beschimpfungen ist das N-Wort allerdings eher ein Dönnerchen als ein Donner, auch wenn es aus dem Munde eines 130 Kilogramm schweren Politikers kommt. Nazi-Beschimpfungen, die ein deutscher Politiker gegen andere deutsche Politiker ausstösst, sind auch deshalb so läppisch, weil sie von den Beschimpften sehr leicht retourniert werden können. Die Tatsache, dass einige hochrangige Nazis - und zwar echte Nazis! - nach dem Zweiten Weltkrieg in Windeseile rehabilitiert wurden und sowohl in der CDU als auch in der SPD locker Karriere machten, trägt wenig dazu bei, dass die etablierten deutschen Parteien besonders glaubwürdig klingen, wenn sie gegen Nazis wettern, wo gar keine Nazis sind.

 

Besonders läppisch ist die Nazi-Keule, wenn sie von den Grünen geschwungen wird. Dass die Grünen die Sparlampen unter den Leuchten sind, ist ja kein Geheimnis. Seit es aber in Deutschland eine Partei gibt, die innert kürzester Zeit zum oppositionellen Platzhirsch aufgestiegen ist, scheint hier eine Art Futterneid erwacht zu sein, und die linksökologische Dummheit schlägt auf einmal Purzelbäume. Kommt dazu, dass die Grünen in ihrer Wut auf die neudeutschen Patrioten geradezu über den eigenen Schatten stolpern. Denn die chlorophyllgrüne Ideologie wurzelt in tiefbrauner Erde. Darüber täuscht das inzwischen etwas verblasste 68er-Linkssein nur unzulänglich hinweg. Die grüne Partei, die sich aus der von Alt-Nazis initiierten ökologischen Bewegung herausgebildet hat, ist so typisch deutsch wie keine andere deutsche Partei, und zwar in einem ziemlich unguten Sinn. Das typisch deutsche Weltrettungspathos, diese sumpfnebelartige Auserwähltheitsromantik, die sich mit schulmeisterlichem Pedantismus paart, ist exakt das, was die März-Revolutionäre, Richard Wagner, die Thule-Gesellschaft, die Nazis, die RAF und die Grünen über alle Zeiten und ideologischen Grenzen hinweg miteinander verbindet. Willkommen im Club! Im 21. Jahrhundert reiten die Wallküren zweifellos für die Grünen. Die altgermanischen, ewig-weiblichen Naturgeister wissen, wo sie hingehören. Wo das wehrhaft und wahrhaft und vielleicht auch ein bisschen wahnhaft Deutsche, das sie verkörpern, seinen zeitgemässen Ausdruck findet. Natürlich sind die Grünen deswegen noch lange keine Nazis. Genausowenig wie die Leute von der AfD Nazis sind. Man sollte den Nazis nicht den Gefallen tun, sie zum Mass aller Dinge zu erklären. Das Deutschtum, das ich hier meine, hat auch seine guten Seiten. Es mag ein Hexengebräu sein, ein Gebrodel voller Spinnenbeine und Krötenfüsse. Doch typisch deutsch ist immer auch das Gegenteil, der dialektische Umschlag. In Deutschland findet man die grössten Hornochsen, aber auch die grössten Geister. Das "deutsche Wesen" hat einen Goethe hervorgebracht. Einen Jean Paul. Einen Eichendorff. Einen Novalis. Einen Hugo Ball. Einen Beuys. Und nicht zuletzt auch - quasi als Gegenpart zum deutschen Idealismus - einen Karl Marx. Ich mag die Deutschen, weil sie ein bisschen weltfremd sind. Ein bisschen abgehoben. Ein bisschen zwiespältig. Ein bisschen anders. Und selbstverständlich mag ich vieles an den Deutschen auch nicht: etwa ihre moralische Überheblichkeit oder die ewige Neigung zur Fürstendienerei, der berüchtigte Kadavergehorsam. Ich weiss, das sind alles nur Klischees. Wie auch die Vorstellung vom "Volk der Dichter und Denker" nur ein Klischee ist, eine Schulformel sozusagen, die hierzulande umso wirkungsvoller ist, als sie sich mit dem schweizerischen Minderwertigkeitskomplex vermischt. Und doch muss irgendetwas dran sein. Was mich im persönlichen Umgang mit Deutschen immer wieder erstaunt, ist ihre Belesenheit, ihre Bildung. Ich kenne das nur aus Deutschland: Postangestellte und Krankenschwestern, die mit der grössten Selbstverständlichkeit Hegel, Schopenhauer und Jean Paul lesen. So etwas gibt es in der Schweiz nicht. In der Schweiz sind es vielleicht drei bis vier Spezialisten, die solche Bücher lesen, und sie tun es möglichst heimlich, weil sie sie sich schämen. Es ist immer noch die Scham des Bauern, der nicht richtig lesen und schreiben kann und Hochdeutsch nur als pathetische Bibel-Sprache kennt, die man quasi singen muss. Und das betrifft auch die Universitäten. Begegnet man dort einem Menschen, der einen halbwegs geraden und intelligenten Satz herausbekommt, ist es meistens jemand aus Deutschland. Und nimmt ein Schweizer in einer Buchhandlung ein Buch zur Hand, interessiert ihn eigentlich nur der Preis. Und ob es nicht zu viele Seiten hat, wegen der Platzökonomie. Die kulturelle und geistige Sensibilität ist in Deutschland etwas sehr Allgemeines, während man in der Schweiz alles Geistige beargwöhnt und nivelliert. Die Schweizer sind - um eine Beschimpfung zu zitieren, mit der Thomas Bernhard die uns gar nicht so unähnlichen Österreicher charakterisiert hat - "zur Geistesschwäche verurteilt". Sowohl die Österreicher als auch die Schweizer sind ein bisschen geistesschwach, wenn auch die Eloquenz nicht die gleiche ist: wo die einen blöd drauflosschwatzen, fehlt den anderen schlicht die Sprache. Auf Mundart muss man umständlich um das Eigentliche herumreden, und wenn man endlich sagt, was man eigentlich sagen will, interessiert es kein Schwein mehr, - und die Pointe fällt unter den Tisch. Während die Österreicher genial blöd sein können, bringen die Schweizer nicht einmal das zustande. Was aber auch etwas Rührendes hat, etwas "Herziges". Der Schweizer ist ein "Bodensuri", auf den man herabschaut, und auch die Schweizer selber schauen auf sich herab, durch eine mentale Lupe, wenn man so will. Ohne Lupe könnten sie sich gar nicht sehen. Und das nehmen sie dann sehr genau! Hier entgeht ihnen nichts. Genau sein können sie, bis hin zum kleinlichsten Perfektionismus. Wenn sie etwas machen, muss es idiotensicher sein. Wohl deshalb heisst das grosse schweizerdeutsche Wörterbuch "Idiotikon". 

 

Bei aller Bewunderung für das Kulturvolk vom anderen Rheinufer habe ich, wie könnte es anders sein, mit den Deutschen (nicht mit einzelnen Deutschen, sondern DEN Deutschen) auch negative Erfahrungen gemacht. Oder sagen wir: ambivalente Erfahrungen. Wir Schweizer kennen den "typischen Deutschen" vor allem aus dem Arbeitsleben. Der stramme, ehrgeizige Deutsche, der aufs Wort gehorcht und überhaupt nichts hinterfragt. Und immer auf Zack! Und wenn er nicht gehorcht, dann befiehlt er. Ein Vorurteil? Keineswegs! Ich habe die deutsche Übernahme einer Schweizer Firma miterlebt. Plötzlich ging es im Büro wie in einer Kaserne zu, inklusive Morgenappell und weltanschaulicher Motivationsschulung. Als wir Schweizer noch unter uns gewesen waren, hatten wir alles endlos ausdiskutiert, ohne viel zu arbeiten. Und wie es die Schweizer halt so machen, wenn sie diskutieren: sie diskutieren zuerst einmal des langen und des breiten darüber, was man zum Diskutieren überhaupt traktandieren soll. Ganz allgemein regelt man das Miteinander in der Schweiz ganz anders als im "grossen Kanton": einerseits viel komplizierter und umständlicher, weil man für jedes Gespräch einen runden Tisch braucht; andererseits aber auch viel unkomplizierter, weil man an einem runden Tisch nicht sagen kann, wer oben oder unten sitzt, wodurch ein Gefühl der Gleichheit entsteht, der Konfliktdämmung. Eine Gleichheit der direkten Ansprache ist das nicht. Alles läuft hier indirekt, in einem einzigen "Sozusagen" sozusagen. Man ist per Du, aber in der Schweiz heisst das noch lange nicht, dass man einander auf dem Schoss hockt. Die Schweizerische Betriebskultur ähnelt, soweit ich sie selber erlebt habe, einem Fondueplausch unter Freunden. Oder besser gesagt: unter Kollegen. In der Schweiz hat man keine Freunde, man hat Kollegen. Man hockt einander nicht auf dem Schoss, aber man hat es doch recht gut miteinander, man rührt im Uhrzeigersinn auf unterschiedlichen Kreisbahnen, jeder für sich und doch alle zusammen. Wie das funktioniert, ohne dass sich die Fonduegabeln ineinander verheddern und verhaken, scheint das bestgehütete Geheimnis der Schweiz zu sein, eine Art Betriebsgeheimnis. Doch das täuscht. Was hier so gut gehütet, ja unergründlich scheint, hat mit den allereinfachsten Regeln zu tun. Mit Regeln, die im Grunde genommen jeder Idiot versteht. Oder sagen wir: jeder Schweizer. Man muss nicht den Doktor gemacht haben, um sich fonduekonform verhalten zu können. In der Schweiz gilt: was im Kindergarten gilt, gilt auch in der Gemeinschaft, in der Firma, im Staat und am Fonduetisch. Man kann nicht einfach drauflosrühren wie eine Wildsau. Oder wie ein japanischer Tourist, der das zum ersten Mal macht. In der Schweiz muss man immer wissen, wie es geht. Wenn aber alle Beteiligten wissen, wie es geht, und sich entsprechend verhalten, kann sich eine geradezu unschweizerische Lässigkeit entwickeln. Sie ist es, was den Schweizer sympathisch macht. Was ihn selber beeindruckt, wenn er in den Spiegel schaut. Aber auch hier kommt es auf das richtige Mass an. Dem Schweizer ist jederzeit bewusst, dass sich das Gute in der Mitte befindet. Nicht nur geografisch gesehen. In der Schweiz ist "Mittelmass" kein Schimpfwort, sondern ein Lob. Deshalb schaut man sehr genau darauf, dass man weder zu viel noch zu wenig macht. Nur nichts übertreiben! Faulenzer und Streber sind schlechte Schweizer. Die guten Schweizer sind diejenigen, die das Gleichgewicht halten. Immer hübsch arbeiten! Aber auch die Pausen nicht vergessen! So läuft es seit jeher in der Schweiz, ob beim Arbeiten oder Fondueessen: alles muss im Lot sein. Perfekt austariert. Immer rühren, damit der Käse nicht dick wird. Damit es nicht schon eine Kruste gibt, bevor man am Boden angelangt ist. Rühren, rühren, rühren. Nicht zu fest und nicht zu lasch. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Schön "süferlig", aber nicht zu "süferlig", sonst verliert man das Brotbröckli. Und selbstverständlich sollte man hin und wieder eine Pause machen. Wer keine Pause macht, ist ein Fanatiker und gehört nicht an einen Fonduetisch. So stochert man zwischendurch ein bisschen herum, ergriffen von einem Gefühl heimeliger Gemütsamkeit. Dieses Gefühl gibt es nur in der Schweiz, so wie es auch gewisse Regeln nur in der Schweiz gibt. Wer zum Beispiel sein Brotbröckli verliert, muss entweder singen oder eine Runde zahlen. Schlimmere Strafen können sich die Schweizer nicht vorstellen. Jahrelang habe ich solche Arbeitsverhältnisse als selbstverständlich wahrgenommen. Bis die Deutschen kamen! Unter der teutonischen Büro-Besatzung drehte sich dann plötzlich alles nur noch um das binäre Verhaltensschema des Preussentums: Befehlen und Befehlsausführung. Natürlich muss man das positiv sehen. Wenn man etwas von den Deutschen lernen kann, dann ist es arbeiten. Oder auf gut Neudeutsch gesagt: die pflichteifrige Selbstaufgabe im supermotivierten Team.

 

Manchmal sind die Deutschen ein Ärgernis. Dennoch glaube ich, dass sie gar nicht so schlimm sind. Mein Glaube an das Gute in den Deutschen ist unzerstörbar. Am strengsten verfahren sie nach wie vor mit sich selbst. Und deshalb muss man sie manchmal vor sich selbst in Schutz nehmen. Besonders wenn sie es mit ihrem Schuldkomplex übertreiben und zuviel Moralinsäure verspritzen. Auch im Moralisieren sind sie ausserordentlich gründlich. Wenn sie ein Gemüsebeet jäten, reissen sie gleich das ganze Gemüse heraus. Nazis im Bundestag? Die AfD als Vorhut eines neuen Rechtsextremismus? Wer solche Annahmen trifft und damit das ganze rechtspolitische Spektrum stigmatisiert, verharmlost die NS-Ideologie - und macht sie unerkennbar. Wischt sie aus, ohne sie unschädlich zu machen. Wenn man schon den Nazi-Warner spielt, was ja nicht grundsätzlich daneben ist, sollte man wenigstens eine rudimentäre Ahnung haben, was der historische Nationalisozialismus gewesen ist. Oder was er eben nicht gewesen ist. Die Neudefinition des Nazismus als Rechtskonservativismus entlarvt sich auf jeden Fall als unhaltbar. Und Rasissmus kann sich auch darin äussern, dass man auf das Fremde im positiven Sinne fixiert ist - und dementsprechend überall Rassisten und Fremdenfeinde sieht. Dass viele Linke heutzutage nur noch links sind, weil sie "gegen rechts" sind, das heisst "gegen Nazis", ist ein Armutszeugnis. Vermutlich haben wir es hier mit einer moralischen Ersatzhandlung zu tun. Seitdem der Marxismus als Praxis wie auch als Ideologie oder Lehre nicht mehr gesellschaftsrelevant ist, irren die Linken einem Ersatz hinterher. Dazu gehört auch ein neues Feindbild, nachdem sich der kapitalistische Ausbeuter scheinbar in Luft aufgelöst hat. So wie ein mutterloses Entchen einem Menschen oder Hund nachläuft, auf den es blind fixiert bleibt, laufen die verwaisten Linken dem Antirassismus einer ideologisch überdrehten Political Correctness hinterher. Um das, was real existiert, geht es hier nicht. Zum einen hat der übertriebene Antirassismus selbst eine rassistische Komponente, vergleichbar mit Homophobie, die nicht selten eine latent unterdrückte homosexuelle Neigung verrät; zum anderen haben wir heute in Mitteleuropa - trotz der ganzen Rassismus-Hysterie - weniger Rassismus als je zuvor - und weniger Rassismus als in jeder anderen Weltgegend. Hinter der tobenden Abwehrschlacht gegen "rechte Tendenzen" und "salonfähigen Rassismus" könnte man eine abwegige Logik vermuten, etwas Wahnhaftes. Haben wir etwas Ähnliches nicht auch im Gender-Bereich? Je gleichberechtigter die Geschlechter, desto mehr Gender-Empörung, desto mehr Gender Studies und Gender-Institute und Gender-Beratungsstellen. Je weniger Rassismus und Ausgrenzung, desto rigider der Anti-Rassismus, desto irrationaler die politisch korrekte Empfindlichkeit, desto mehr Fachstellen für Rassismusbekämpfung, desto abgehobener die Debatte rund um Mohrenköpfe, Blackfacing, Indianerkostüme und andere vermeintliche Diskriminierungen. Eine wahnhafte Spirale, die sich immer weiter und weiter dreht, zumal es nun auch Leute gibt (wie mich zum Beispiel), die diesen Wahnsinn lächerlich finden und sich um der Vernunft willen gerne als "Nazis" beschimpfen lassen, was die politisch Korrekten erst recht auf die Palme bringt. Will man mit Linken eine politische Diskussion führen, die auch Gesichtspunkte ausserhalb politisch korrekter Dogmen einbezieht, ist das wie ein Gang über ein Minenfeld. Und das sage ich als Linker. Ich bin zwar kein typischer Linker, da ich mit libertären und neurechten Positionen sympathisiere, mit anarchistischen wie auch frühfaschistischen, mit erzkonservativen wie auch reaktionär-revolutionären. Und daneben bin ich auch noch ein heimlicher Katholik. Das Leben ist bunt. Meine Grundfarbe bleibt aber rot. Hoch lebe der Sozialismus! Cuba libre! Marx forever! Als Marxist weiss ich, dass es bei allen politischen Fragen immer nur um die eine, alles entscheidende Frage geht: was hat man persönlich zu gewinnen oder zu verlieren? Gehört man zum Plebs oder zur Aristokratie? Reitet man zu Pferd oder mit dem Esel? Mit den schicken, liberal-urbanistischen Transferleistungslinken, die mit der Arbeiterschicht, den Verarmten, den prekär Beschäftigten und den Obdachlosen überhaupt nichts am Hut haben, ist es nämlich so eine Sache. Vom Gesinnungsmurks der neulinken Political Correctness halte ich nichts. Mehrheitlich vertreten ihn nämlich Menschen, die ihn als Schutzschild für ihre Macht, ihren Besitz und ihre Privilegien gebrauchen. Marxistisch gesehen sind das genau die Leute, die am Drücker sitzen. Die eine echte Revolution verhindern. Ein Gräuel ist mir auch der totalitäre Kulturmarxismus, wie ihn zum Beispiel das "Zentrum für politische Schönheit" betreibt. Eine moralische Justmilieu-Arroganz, die überall Faschisten und Nazis wittert und damit eine neulinke Inquisition in Gang setzt, die man als "Weltverbesserung" etikettiert. Dass eine derart tautologische und wahnhafte Ideologie bei dummen Menschen gut ankommt, wundert nicht. Ein Rechter muss sich rechtfertigen. Er muss intelligent ein. Ein Linker meint sich darauf verlassen zu können, sowieso auf der richtigen Seite zu stehen. Er argumentiert tautologisch: "Ich habe Recht, weil ich als Linker moralisch überlegen bin." Eine Tautologie, die bei Linken immer wieder durchdringt. Während der Linke tautologisch argumentiert, argumentiert der Rechte mit Logik. Er muss sich anstrengen, weil er als Rechter immer unter dem Verdacht der "Unmenschlichkeit" steht. Das aber schärft seinen Verstand. In der Schweiz sieht man das vielleicht nicht so deutlich, weil die SVP immer noch eine Bauernpartei ist, in der man daherpoltert wie auf einer Chilbi. Wenn ein SVP-Politiker intelligent ist, merkt man es ihm meistens nicht an. Die AfD ist ein ganz anderer Fall. Sie strotzt geradezu vor Bildungsbürgertum. Es ist nicht der Populismus, es ist der scharfe, preussisch gedrillte Intellekt der gehobenen deutschkonservativen Kreise, was dieser Partei zum Durchbruch verhilft. Man vergleiche nur mal die Reden! Trotz aller Wut und Streitlust gibt es in den andern Parteien kaum jemand, der einem Gottfried Curio oder Björn Höcke rhetorisch und intellektuell das Wasser reichen kann. Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht sind vielleicht die einzigen Linken, die eine ähnliche Kragenweite haben. Meiner Beobachtung nach hat sich die Intelligenz sehr stark nach rechts verschoben, und die Frage ist natürlich, was ist überhaupt noch rechts? Was ist überhaupt noch links? Und tatsächlich, man staunt! Was sich heutzutage nicht alles links nennt! Und auch wenn man davon ausgehen kann, dass nicht jeder Linker ein Dummkopf ist, so ist es doch so gut wie sicher, dass sich die Linken - von ein paar wenigen Marxisten und selbstkritischen Geistern abgesehen - in einer moralischen Komfortzone eingerichtet haben, die jede Form von institutionalisierter oder individueller Dummheit begünstigt. Das ist auch der Grund, weshalb ich als Linker immer nur mit Linken Streit habe - und nie mit Rechten. Bei den Linken gibt es einfach das grössere Blödheitspotential. Die neulinke Weltsicht ist derart inkonsistent, dass sie geradezu nach einer Widerlegung schreit. Die dialektisch-materialistische Analyse des Klassenkampfs im Kontext einer ausbeuterischen Wirtschaft: das ist es, was einen Linken beschäftigen sollte. Den ganze politisch korrekten Firlefanz sollte er beiseite lassen. Ein Marxist unterscheidet zwischen Reich und Arm. Indianer, Schwule, Frauen, Schwarze und Muslime sind ihm hingegen egal. Mit solchen Kategorien landet man sehr schnell auf der falschen Seite: bei den jakobinischen Gesinnungspolizisten. Man kann kein Linker sein, wenn man im Elfenbeinturm der Political Correctness wohnt. Auf diesen Streitpunkt lege ich es genüsslich an, wenn ich mit einem Linken ins Gespräch komme. Ich versuche ihn auf die Realität hinzuweisen, was in den meisten Fällen schon als Beleidigung rüberkommt. Die meisten Linken haben eine grosse Empfindlichkeit, aber leider sehr wenig Verstand. Obwohl ich auf dem politischen Achsenkreuz ziemlich weit links stehe, ungefähr auf der Position von Mahatma Gandhi, ist es mir nahezu unmöglich, mit überzeugten Sozialdemokraten oder PdAS-Linken zu diskutieren, ohne dass die Fetzen fliegen. Irgendwann gehen einem die Worte aus, und dann haut man einander nur noch aufs Maul. Das Niveau solcher Diskussionen erreicht dann manchmal eine Ebene, die man nur noch mit aktionistischen Begriffen beschreiben kann. Das wiederum ist dann doch der Unterschied zwischen mir und Mahatma Gandhi: die innere Grösse, einem dummen Menschen nachzugeben, geht mir ab. Sobald ich mit einem Linken zu diskutieren anfange, muss ich mich aufs Gröbste einstellen, nämlich darauf, dass man einander früher oder später, um es aktionistisch auszudrücken, "die Fresse poliert". Eine intelligente Verständigung ist da kaum noch möglich, und es kann gut sein, dass ich daran nicht ganz unschuldig bin. Ich bin zwar ein Linker, aber Mahatma Gandhi bin ich nicht. Doch wo liegen eigentlich die wirklichen Probleme in unserer Gesellschaft? In dieser Zeit und Weltgegend etabliert sich - höchst real und mit unendlich vielen sozialen Folgeproblemen - ein System neo-ökonomischer Ausbeutung, gegen das die Linken überhaupt nichts unternehmen. Den eigenen Geldgeber bekämpfen? Oder die Bank, auf der man ein fettes Konto hat? Oder den Globalisierungskurs uneingeschränkter Weltoffenheit, den die Linken kurioserweise genauso stürmisch begrüssen, wie es die Turbo-Kapitalisten tun? Nein, hier ist kein Aufstand zu erwarten. Auf ihrem ureigensten Gebiet verhalten sich die meisten Linken auffällig still und anschmiegsam. Sie haben sich arrangiert. Und sie kommen damit durch! Sie brauchen sich nicht die Hände schmutzig zu machen. Sie brauchen sich nicht mit denen anzulegen, mit denen sie sich gut stellen wollen. Sie sind fein raus. Sie haben ja schon einen Feind! Es ist der "böse Nazi"! Und den gibt es glücklicherweise überall: sogar unter dem Bett.