Meine Galerie

Meine zeitgenössischen Lieblingsmaler? Vor ein paar Jahren hätte ich vielleicht illustre Grössen wie Neo Rauch, Peter Doig oder Daniel Richter aufgezählt. Es sind Maler die man kennt oder zumindest kennen sollte. Es sind Grossmeister. Jeder von ihnen ist auf Wikipedia angekommen - und damit offiziell in den Adelsstand erhoben worden. Gut, sie sind schon in einem gewissen Alter, auch das mag zum Ritterschlag beigetragen haben. Die Jahrgänge liegen nah beieinander. Daniel Richter ist mit Jahrgang 1962 der Jüngste, gefolgt von Neo Rauch mit Jahrgang 1960 und Peter Doig mit Jahrgang 1959. Als Maler sind sie immer noch jung oder relativ jung. Sie haben die Anlaufzeit hinter sich und können jetzt so richtig loslegen. Als Faustregel gilt: zwischen 40 und 50 Jahren überwindet ein Maler seine Pubertät, weil das ein Alter ist, in dem man nichts mehr beweisen, sich nicht mehr als Könner aufspielen muss, und zwischen 50 und 60 erlangt ein Maler definitiv einen Zustand, den man als "erwachsen" oder "reif" bezeichnen könnte. Jetzt ist er zu sich selbst gekommen, und ab 55 oder 60 - manchmal auch später - steigt er in seine Hauptarbeit ein. Alles Vorherige ist nur eine Aufwärmübung gewesen. Das gesetzte oder höhere Alter, in dem man Ehrungen entgegennehmen, sich auf seinen Meriten ausruhen und auf sein Lebenswerk zurückblicken kann, beginnt für einen Maler erst nach seinem Ableben. "50 Jahre nach meinem Tod werde ich mich in den wohlverdienten Ruhestand begeben," sagte einst Jean Cocteau, Maler, Dichter und Filmemacher. Und da kann man sagen: die einen altern gut, die andern schlecht. Die einen bleiben beweglich und fit, und die anderen vergreisen und bekommen die üblichen Altersmarotten. Goya zum Beispiel ist ein Maler, der extrem gut gealtert ist. Er hat kaum Runzeln. Ganz anders sein Landsmann Picasso. 50 Jahre nach seinem Tod ruft man das Picasso-Jahr aus und feiert überall sein Werk. Dabei bemüht man sich redlich, einen "aktuellen" Picasso darzustellen. Was nur halbwegs oder überhaupt nicht gelingt. Er ist kein bisschen aktuell. 50 Jahre nach seinem Tod findet man seine Werke in der Brockenstube, Abteilung "Moderne Kunst", und auch seine Persönlichkeit scheint völlig aus der Zeit gefallen zu sein, weshalb man ihn anstaunt wie ein urzeitliches Monstrum. Die überall anlaufenden Picasso-Ausstellungen können ihre Aktualität herausschreien, so viel und so laut sie wollen: Picasso bleibt uns merkwürdig fern. Wie der in Ketten gelegte King Kong steht er mitten im Blitzlichtgewitter und passt doch nicht in die heutige Welt. Zweifellos ist Picasso ein Gigant, und niemand kommt um ihn herum. Aber das war's dann auch schon. Too big to fail, könnte man sagen. Zeitgenösssiche Maler haben dieses Problem noch nicht. Sie gehen uns zwangsläufig etwas an. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe. So lange man lebt, ist man automatisch ein Zeitgenosse. Man hat gar keine andere Wahl, als aus der Zeit heraus zu handeln und dieses Handeln an diejenigen zu adressieren, mit denen man die Gegenwart teilt. Umso mehr gilt das für die Jungen, die noch voll im Saft stehen und ganz gegenwärtig sind, weil sie wenig Vergangenheit haben, und zu ihnen gehören auch Maler wie Neo Rauch, Peter Doig oder Daniel Richter. Und zu ihnen gehören auch Maler, die noch jünger sind. Die eben erst aus dem Kokon der Unbekanntheit geschlüpft sind. Bei ihnen liegt noch alles drin, und sie lassen sich denn auch unbeschwert entdecken. Leicht zugänglich sind sie auf jeden Fall. Das Internet macht's mögllich. Man kann sie entdecken und ihre Werke studieren, ohne Kunstausstellungen besuchen zu müssen. (Das erspare ich mir gerne. Ich habe schon etliche Kunstausstellungen besucht. Aber mit welchem Gewinn? Hat es mich irgendwie schlauer gemacht?) Seit drei oder vier Jahren halte ich gelegentlich Ausschau nach Malern, die vielleicht noch nicht zu den bekanntesten gehören, aber mit einer gewissen Dauerpräsenz in der Öffentlichkeit kursieren, auf Pinterest, Instagramm, den Pinboards von Auktionshäusern oder den Websiten von Galerien, und so bin ich immer wieder auf die gleichen paar Dutzend Bilder gestossen. Was mich für sie eingenommen hat, ist neben der Bildwirkung - dem, was sofort überspringt - auch der künstlerische Ansatz, das Denken und Empfinden dahinter, die Ideen und Vorstellungen die das Schaffen antreiben und sich ihm aufprägen. Natürlich sehe ich das durch meine eigene, spezifische Linse, und diese Linse ist dafür verantwortlich, dass es gerade diese Bilder (oder Maler) sind und keine andern. Ich finde etwas an ihnen, das mich persönlich tangiert. Ich betrachte sie wie ein Sammler, es sind meine Bilder, und vor allem sind es meine Maler, und insofern ist da eine Sammlung entstanden, die sehr subjekt ist - und bestimmt kein Ranking, bei dem es um die Besten, Erfolgreichsten oder Repräsentativsten geht. Die allgemeine Geltung interessiert mich nicht. Was mich aber interessiert, ist das, was für mich persönlich von Interesse ist. Folge ich damit also lediglich meinem Geschmack? Ich weiss nicht. Auf einer primitiven Ebene spricht Kunst sicher den Geschmack an, erweckt Wohlgefühl, ästhetisches Behagen. Aber egal, auf welcher Ebene man sich gerade aufhält, stets resultiert das Kunstempfinden aus einer persönlichen Befangenheit. Wer kann schon aus seiner Haut heraus? Meiner Erfahrung nach gibt es keine verlässliche Kunsteinschätzung, keine wirkliche Kunstkompetenz. Es gibt höchstens ein So-tun-als-ob. Was Kunst ist, was gute oder schlechte Kunst ist, das Urteil oder die Meinung darüber hängt immer von der eigenen Interessenslage ab. So geht es mir auch bei meinen Malern und ihren Bildern. Jeder dieser Maler steht für etwas, in das ich verstrickt bin. Etwas, das mich seit langem begleitet, etwas Zähes, an dem ich immer wieder herumstudiere, herumkaue wie auf einer Speckschwarte. Bei Guglielmo Castelli (nicht zu verwechseln mit dem Schweizer Maler Luciano Castelli) ist es die Inszenierung von Figuren und Bildräumen. Bei Scott Anderson die poetische Bildauffassung. Bei Kim Dorland das Verhältnis zur Natur. Bei Lee Anderson das Mythische. Und bei Danny Fox eine existentielle Grundierung, die mit ihren literarischen Bezügen weit über die bildende Kunst hinausgeht.

Also eine durchwegs persönliche Auswahl. Ein bisschen repräsentativ ist sie trotzdem: mit Jahrgängen zwischen 1973 und 1987 gehören diese Maler zu den aufstrebenden Grössen. Kann sein, dass man sie nicht kennt. Aber es lohnt sich, sie kennenzulernen. Auch deshalb halte ich es für sinnvoll, sie in einer persönlichen Galerie zu versammeln. Verkaufen kann ich die ausgestellten Bilder natürlich nicht, allfällige Anfragen werde ich höflich zurückweisen, und im Grunde genommen ist meine Bildauswahl ziemlich zufällig, es könnten auch andere Bilder der betreffenden Künstler sein. Die Auswahl ist nicht zwingend, Handgelenk mal Pi, würde ich sagen. Und sowieso bin ich der Meinung, dass es nicht so sehr auf das einzelne Bild ankommt. Darauf, ob man dieses oder jenes Bild der Betrachtung unterzieht. Das mag vielleicht ein bisschen paradox erscheinen. Was wäre Malerei ohne Konkretion? Ohne direkte Anschaulichkeit? Ohne die Eingrenzung durch den Bildrahmen, den Fokus der Einzelbetrachtung? Aber ich sehe das vor allem von der praktischen Seite her. Kunstmachen ist ein offener Prozess, und ein Bild ist wie eine Treppenstufe. Es ist nicht die Treppe. So wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht, macht ein Bild noch keine Kunst. Das, worauf es ankommt, ist das, was sich gesamthaft oder phasenweise manifestiert, wenn man das Schaffen auffächert, d.h. verschiedene Bilder miteinander vergleicht oder miteinander in einen erklärenden Bezug setzt. Bei dieser Art von Kunstbetrachtung zählt nicht das einzelne Bild - und erst recht nicht seine Gegenständlichkeit. Die ist mir schon immer etwas albern vorgekommen. Ich weiss, als Galerist müsste ich eine andere Meinung vertreten. Ich müsste das Bild als Gegenstand wertschätzen. Als Dekorationsobjekt. Bei mir zuhause hängt kein einziges Bild. Ich mag die weissen Wände, weil sie mich nicht mit irgendwelchen Eindrücken belästigen, von denen die Welt ja voll ist. Eine kahle, unbebilderte Wand hat auch den Vorteil, dass sie einen nicht festlegt, auf nichts fixiert. Sie lässt alles offen. Ich besitze drei Ölgemälde, die ich irgendwann mal geschenkt bekommen habe und die mir eigentlich recht gut gefallen, und seit Jahrzehnten stehen sie in meinem Keller neben der Velopumpe und warten auf das Jüngste Gericht. Ein Bild ist für mich kein Objekt, kein Fetisch, kein Sakralgegenstand. Die Materialität von Malerei beeindruckt mich zwar schon, vor allem bei grossen Bildern, die kraftstrotzend, sozusagen baselitzmässig auftrumpfen: aber ist das wirklich die Hauptsache? Der visuelle Eindruck, den ein Bild vermittelt, ist ja nichts Materielles. Schon wegen der Zweidimensionalität der Leinwandoberfläche, vor allem aber wegen der Photonen, die den visuellen Eindruck letztlich hervorrufen. Farben, Formen und Strukturen treffen auf die Netzhaut. Das ist der ganze Zauber. Ein Bild kann ohne jeden Qualitätsabstrich auch rein virtuell existieren: und im Prinzip auch Malerei, obwohl sie ja in der physischen Welt stattfindet. Weil sie eben zu einem Gutteil materiell ist und aus greifbaren Elementen besteht, braucht es Galerien, reale Räume, wo sie gezeigt wird. Ein Bild lässt sich durchaus virtuell betrachten, und trotzdem ist eine virtuelle Galerie ein Widerspruch in sich. Nicht zuletzt deshalb verwende ich das Wort "Galerie" nur mit einem Augenzwinkern. Auch in anderer Hinsicht muss ich zugeben, dass meine Galerie nicht besonders seriös ist. Ihre Wissensbasis ist schmal. Von meinen zeitgenössischen Lieblingsmalern kenne ich bei weitem nicht alles, und die verfügbaren Informationen zu den Werken und Lebensläufen sind sehr spärlich. Mit Wikipedia kommt man da auch nicht weiter. Von meinen zeitgenössischen Lieblingsmalern hat nur gerade Kim Dorland einen Wikipedia-Eintrag, und das wahrscheinlich noch nicht so lange. Bei meiner Recherche ist mir zum Beispiel aufgefallen, dass ein schottischer Fussballspieler namens Danny Fox (Jahrgang 1986) einen ausführlichen Wikipedia-Eintrag hat, während der gleichnamige britische Maler (ebenfalls Jahrgang 1986) bisher leer ausgegangen ist. Sport schlägt Kunst wieder einmal nach Punkten. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm. Diese Künstler sind alle noch im Kommen. Man könnte sie teilweise als im Trend liegend oder en vogue bezeichnen, teilweise werden sie in Kunstmagazinen bejubelt, aber eines sind sie mit Sicherheit nicht: auf breiter Basis etabliert. Keiner von ihnen, mit Ausnahme von Kim Dorland, der mal von irgendeinem Komitee zum "Künstler des Jahres" gewählt wurde, erhält Feuilletonbesprechungen, keiner von ihnen hat den Rang eines "jungen Grossmeisters" und darf sich mit Neo Rauch, Peter Doig oder Daniel Richter messen. Es gibt hier also eine Menge Neuland zu entdecken. Wobei ich eben keine repräsentative Sammlung zusammengestellt habe. Dass keine Frauen dabei sind, bedaure ich sehr. Ich weiss, c'est ma faute. Für weibliche Themen und Sichtweisen müsste ich vielleicht eine spezielle Galerie eröffnen. Mein Gartenhäuschen wäre hierfür sicher der geeignete Ort. Gewiss gibt es tolle Malerinnen, nur ist mir halt noch keine ins Gesicht gesprungen. Kunst muss mir ins Gesicht springen. Sie muss mich packen, und dabei ist es mir egal, ob eine Frau oder ein Mann dahintersteckt. Genauso wie es mir egal ist, ob das jemand mit roten, braunen, schwarzen oder blonden Haaren ist. Oder ein Frühaufsteher oder Langschläfer. Oder jemand, der lieber Corn Flakes als Rice Krispies hat. Oder umgekehrt. Am Ende zählt nur, was auf den Bildern zu sehen ist.

 

Guglielmo Castelli, Jahrgang 1987, lebt noch heute in seiner Geburtsstadt Turin und hat dort auch sein Atelier. Turin ist eine Stadt mit vielen Plätzen, Schlössern, Gärten und Palazzi, eine reiche und vielfältige italienische Metropole, in der man sich vor grossartigen Kulissen in Szene setzen und durch ein Gewirr von Gässchen flanieren kann. Turin ist für ein charakteristisches architektonisches Merkmal bekannt, nämlich den sogenannten Androne, eine sehr weitläufige und manchmal auch etwas verwinkelte Vorhalle zwischen Eingangspforte und Hof. Gut möglich, dass etwas vom Androne in die seltsamen Räume eingegangen ist, in die Castelli seine seltsamen Figuren hineinstellt. Seine Bildräume sind faszinierend. Es sind bühnenartige Repräsentionsräume, aber eben auch Durchgangsräume, bei denen nie so klar ist, welchen Standort man gerade einnimmt. Oder woher das Licht kommt - und wie es sich zum Raum verhält, der immer irgendwo ins Dunkle oder Halbdunkle ausläuft. Falls ihn nicht ein Vorhang oder ein Paravent unterbricht und eingrenzt. Wobei das eben keine Wand ist, keine Begrenzung, die den Raum abschliesst: es ist eine Begrenzung von aufreizender Durchlässigkeit. Was Castelli auszeichnet - und man muss kein Experte sein, um das erkennen zu können - ist seine subtile Malweise. Die verhaltene Grundtönung erzielt er wahrscheinlich durch Schichtenmalerei. Es ist, als sähe man alles durch getrübtes Glas. Eine Art Unterwasser-Effekt. Diese Transparenz oder Halbtransparenz verbindet sich mit einer gekonnten Farb- und Lichtregie, die das Obskure, Unklare und Flüchtige hervorhebt. Da gibt es Figuren, die etwas Zerfliessendes haben, andere sind wie gebrochen oder zerteilt, sie räkeln sich oder posieren mit sichtbaren oder unsichtbaren Leibstützen, und der Bildraum, der sie umgibt, verhüllt und verfremdet sie, als könnte er direkt auf sie einwirken. Es sind Einflüsse von Dali, Bacon und Chagall erkennbar. Von Dali stammt das Theatralische, von Bacon die etwas klaustrophobische Raumgestaltung und von Chagall die Flüchtigkeit der Figuren. Wobei Castellis Figuren sehr speziell sind, sehr eigenwillig. Es sind Männer und Frauen. Aber irgendwie auch nicht, jedenfalls nicht eindeutig. Die meisten wirken androgyn oder geschlechtslos. Es könnten menschenähnliche Wesen aus einer anderen Dimension sein, Elfen zum Beispiel. Und sie haben auch etwas von den Modellfiguren aus einem Künstler- oder Modeatelier, weil ihre Gesichtszüge grösstenteils neutral oder gar nicht vorhanden sind. Es sind Figuren, die durch ihre körperliche Präsenz kommunizieren. Sie dehnen und strecken sich und verschwinden manchmal fast im Halbdunkel eines Bühnenhintergrunds, das sie fragil und verletzlich erscheinen lässt. Darin liegt das für Castelli so typische Momentum des Sich-Zeigens und Sich-Verbergens. Seine Figuren treten in Erscheinung und bleiben doch transitorisch, also Erscheinungen im buchstäblichen Wortsinn. Im Erscheinen liegt immer auch schon das Entschwinden. Sie wirken nicht unbedingt zierlich, aber geziert: gewollt unnatürlich und leise affektiert. Ihre Erscheinungsweise ist zwar körperlich, aber ohne Individualität. Manche sind - Chagalls Figuren nicht unähnlich - naiv vereinfacht und schwerelos, andere krümmen sich wie speziell arrangierte, amorphe Gliederpuppen. Sie spielen uns etwas vor. Aber was? Sie sind inszeniert, wie angehalten in einer Bewegung, die etwas Verzerrtes oder Gekünsteltes hat. Sie vollziehen einen Akt rätselhafter Selbstverformung, wodurch sie an Pantomimen, Seiltänzer, Balletteusen, Kontorsionisten und Akrobaten erinnern. Das deutet auf einen zentralen Aspekt hin: Schauspielerei als pure physische Präsenz im Raum, inszenierte Körper auf einer Bühne im Bild, Der Bezug zum Theater ist bei Castelli zentral. Dass er Theaterszenografie studiert hat, ist zwar aus seinen Bildern nicht direkt abzulesen, aber es ist ein wertvoller Hinweis, wenn man vor diesen rätselhaften Räumen und Figuren steht. Beim Malen, hat er mal in einem Interview erklärt, entwerfe er eine Szene und wolle verstehen, wie deren Elemente mit dem Betrachter in einen Dialog treten. In diesem Interview hat er auch über das Proszenium gesprochen, den zwischen Vorhang und Rampe gelegenen vordersten Teil der Bühne. Dieser Ort scheint ihm wichtig zu sein: es ist ein Ort im Raum, aber auch eine Perspektive, die das Bildgeschehen definiert. Auf diese beruft er sich mit dem Eigensinn des modernen Künstlers, aber auch im Wissen um das Erbe der Renaissance, deren Raumvorstellungen Castelli mitreflektiert, wenn er Räume malt oder über Räume redet. Wie der Turiner Androne ist auch das Proszenium ein Zwischenraum, in dem Figuren hervorkommen, sich zeigen und sich dann doch der Betrachtung entziehen, indem sie ganz plötzlich davonschlüpfen. Die beiden Orte haben viel gemeinsam. Während man sich im Durchgangsbereich des Andrones in Richtung Strasse, Haus oder Innenhof bewegt, also eigentlich immer nur ankommt oder weggeht, verschwindet man vor der Bühnenrampe hinter dem Vorhang oder benutzt den seitlichen Abgang. An beiden Orten tritt man auf oder ab oder hält sich irgendwie dazwischen, in einem Balanceakt zwischen Dableiben und Weggehen, zwischen Weggehen und Dableiben. Im Theater spielt natürlich auch das Timing eine Rolle. Nicht zuletzt ist das Proszenium auch ein Raum, der einen zeitlichen Rand markiert, ein Davor oder Danach. Der Vorhang hat sich herabgesenkt oder ist noch nicht hochgezogen worden. Durch diese Unbestimmbarkeit und das damit verbundene Dazwischen- und Abseitsstehen bleiben Castellis Figuren auf seltsame Weise ungreifbar. Ihre feinsinnige Elastizität scheint total unstet zu sein, fast so, als wären sie aus Quecksilber oder flüssigem Blei geformt. Was man auch metaphorisch auffassen kann. Man kommt ihnen nicht auf die Spur. Wer oder was sie sind und was sie in diesen Bildern eigentlich veranstalten, bleibt ein Rätsel. Auch dann, wenn sie von nahem gezeigt werden, mit einer Intimsphäre, in der sie sich in ornamentalen Verschlingungen auflösen oder vor monochromem Hintergrund zur Grafik werden. Die Nähe lüftet das Geheimnis nicht. Auch hier erzeugt Castelli eine Atmosphäre feinsinniger Versponnenheit, eine Harlekinade des Nichts. Viel Ausdruck und wenig Emotionalität. Das einzige Gefühl, das manchmal durchschimmert, ist eine leise Melancholie. Aber ist dieses Gefühl echt? Ist es nicht einfach nur eine artistische Darbietung? 

 

Scott Anderson, Jahrgang 1973, lebt und arbeitet in Albuquerque, New Mexiko. Seine kraftvollen Bilder pendeln zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, Erkennbarem und Unerkennbarem, Poesie und Erzählung, Romantik und Skeptizimus. Romantisch sind sie, weil man sie als Stimmungsbilder lesen kann. Als Poesie, wenn man so will. Es sind synästhetische Etüden. Man verzeihe mir den hochgestochenen Ausdruck. Ich will ihn kurz erklären. Eine Synästhesie ist eine Wahrnehmung wie "schreiendes Rot" oder "kaltes Blau", bei der verschiedene Sinnesebenen (Akustik, Farbe, Tastsinn, Temperaturempfinden, Mengensinn etc.) ineinander übergehen, untereinander verknüpft oder miteinander vertauscht werden. Scott Andersons Bilder sind synästhetisch, weil sie bei weitem nicht nur den Farbsinn ansprechen: man hört sie rasseln und klappern wie Spielzeugkisten, die jemand schüttelt, sie gehen ins Räumliche, machen Mengenverhältnisse und Volumen spürbar, lassen sich ertasten, weil sie voller Konturen und Oberflächen sind, und sie sprechen auch das Olfaktorische an, beglücken den Gaumen mit dem Geschmack von Sellerie und die Nase mit dem Geruch von Lavendel. Und Etüden sind sie, weil Etüden - der Begriff stammt aus der Musik und bezeichnet eine Art Übungsstück - mit ausführlichen Wiederholungen arbeiten, mit einer sich immer wieder verschiebenden Abfolge gleichartiger oder ähnlicher Motive. Das ist ja das Erste, was an diesen Bildern auffällt, wenn man sie - wie man das bei Bildern einer bestimmten Werkphase eigentlich immer tun sollte - nebeneinander stellt und miteinander vergleicht: dass sich vieles wiederholt, vieles immer wieder auftaucht, wenn auch abgewandelt. Als würde der Künstler übungshalber ein paar wenige Motive endlos wenden, endlos variieren. Diese beiden Eigenschaften - Synästhesie und Sequenzierung - kommen bei Scott Anderson zusammen. Es sind elementare Eigenschaften des Poetischen. Man neigt dazu, Poesie als etwas Undurchschaubares anzusehen. Aber eigentlich ist sie eine ziemlich gut erklärbare Kombination aus synästhetischen Reizen und suggestiven Wiederholungsmustern, und bei Scott Anderson kann man geradezu beispielhaft erleben, wie das Poetische funktioniert, wie es in Gang gesetzt wird und seine Rädchen und Spulen drehen lässt. Vielleicht kommt bei der poetischen Wirkung noch eine weitere Komponente hinzu: der nach Ausgleich strebende Kontrast, das Spiel mit Gegensätzlichkeiten, die innere Spannung. Scott Andersons Bilder sind lebensvoll und lebendig und trotzdem irgendwie auch schwermütig, ein Feuerwerk in tiefdunkler Nacht. Sie strotzen vor Gestaltungskraft, und trotzdem haben sie auch etwas Subtiles und Träumerisches, in das man sich versenken kann. Alles in diesen Bildern ist durchzogen von einer leisen Elegie, einer schönen, erhabenen Traurigkeit. Reine Stimmung ist das nicht, da gibt es nichts Wolkiges oder Verfliessendes, jedes Detail ist präzis ausformuliert. Was Scott Anderson für seine Bildgestaltung aufbietet, beruht auf genauen Herleitungen und Zusammenstellungen, auf einem skeptischen Auswählen und Abwägen. Das ist der Skeptizismus dahinter. Und so gesellt sich zur Poesie die Erzählung. Man könnte auch sagen: das Konkrete. Andeutungen und Fragmente von Möbeln, Figuren, Treppen, Statuen, Pflanzen, Landschaften und Mauern setzen sich zu eigenwilligen abstrakten Erzählungen zusammen. Ein Widerspruch? Ja und nein. Scott Anderson überbrückt den Widerspruch, macht ihn fruchtbar. Erzählungen können abstrakt sein. Aber immer haben sie einen konkreten Ort, wo die Dinge geschehen, sich entwickeln, aufeinander zulaufen oder miteinander spielen. So auch bei Scott Anderson. Meist erkennt man einen Bildraum mit Vorder- und Hintergrund, mit Böden, Terrassen und kulissenartigen Wänden. Und das alles scheint irgendwie belebt, da wächst die Fläche ins Körperliche und das Körperliche ins Räumliche. Kubistisch angeordnete Flächen bekommen Wülste und wuchern aus, es gibt Sachen, die ineinander übergehen oder miteinander verschmelzen. Die sichtbare und benennbare Realität von Dingen, die man kennt, deutet sich überall an, wird aber nie greifbar. Man ist mit seltsamen Déjà-vus konfrontiert. Man glaubt sich zum Beispiel in einen Garten versetzt, einen südlichen Pinienhain vielleicht, den man aus den Ferien kennt. Es gibt Bäume und Sträucher, und da und dort schaut ein Stück Himmel hervor. Und was ist das? Ein Fenster? Eine Säule? Ein Gnom? Eine Vase? Beim flüchtigen Hinschauen glaubt man etwas zu erkennen, und plötzlich ist es weg oder hat sich verwandelt, so dass man sich ein bisschen getäuscht fühlt. Scott Andersons Bildwelt ist sehr lebendig, sie wuselt, könnte man sagen, und sie ist in ständiger Transformation begriffen. Sie leuchtet in starken Farben und erinnert mit ihren fein geschnittenen Konturen an Collagen. Tatsächlich entstehen seine Bilder typischerweise aus Zeichnungen oder Collagen, die auf älteren Bildbeständen beruhen, also ihrerseits auch schon aus Transformationen hervorgegangen sind. Seine Bilder sind das, was sich am Ende solcher Umwandlungsprozesse herausformt, aber nicht, um an einen Abschluss zu gelangen, sondern um in einen neuen Prozess einzumünden. Innerhalb der Bilder, aber auch von einem Bild zum nächsten gibt es Ähnlichkeiten, Abwandlungen, Übergänge und Anschlüsse. Dadurch, dass  er bestehendes Material immer wieder durchforscht, überarbeitet, neu verwertet und arrangiert, hält er seine Bildwelt lebendig, ohne etwas grundlegend Neues in sie einführen zu müssen. Da und dort taucht eine Skulptur auf, die aussieht, als wäre sie zerbrochen und falschherum neu zusammengeklebt worden. Falschherum und doch auf wundersame Weise richtig: eine Art kreatives Recycling. Das ist es, was Scott Anderson so gut hinbekommt: aus dem ewig Gleichen macht er immer wieder etwas Anderes, Neues und Überraschendes. 

 

Der Kanadier Kim Dorland wurde 1974 in Wainwright, Alberta, geboren und lebt derzeit in Toronto, Ontaria. Er ist der einzige Landschaftsmaler in meiner Galerie. Er malt Bäume, immer wieder Bäume, Birken in endlosen dämmrigen Reihen und leinwandfüllende Kiefern, Fichten, Tannen und Lärchen. Freilich ist das keine Freiluftmalerei, und es ist auch kein Rückzug in die besinnlich-heile Natur. Dorland holt die Aussenwelt in sein Atelier, wo er sie auf der Grundlage eines nüchternen Realismus kulissenartig stilisiert. Dabei hält er sich häufig in Zonen auf, wo sich Siedlung und Natur berühren oder überlappen, wo einzelne Häuser, Hütten und Brücken in die Landschaft eingestreut sind und den Eindruck erwecken, als wären sie unlängst aufgegeben worden. Auch Graffitis sind zu sehen, kryptische Zeichen an Bäumen, Wegwerf-Botschaften an Orten, wo selten jemand hinkommt. Es sind Orte der Verlorenheit und Unbehaustheit, wie man sie in Stadtnähe immer wieder antrifft: drei, vier Schritte abseits einer Fahrstrasse, und schon sieht man sich einer Wand aus Bäumen gegenüber. Mehr oder weniger trostlos und grau erhebt sie sich wie ein Limes, ein Grenzwall, hinter dem das Unheimliche beginnt. Das verlässlich geknüpfte Netz aus Wegen und Strassen hat hier ein Ende. Kein absolutes, sondern eines, das sich wie ein Fadeout sehr lange hinzieht. Es sind reichlich normale Orte, und doch erlebt man sie als leer und ungemütlich. Da schwingt Angst mit, aber auch Ehrfurcht. In Dorlands Wäldern dämmert ein Zwielicht, das vom Weg abbringt. Das ist kein Grauen à la Stephen King, aber für einen Campingausflug würde man sich vielleicht doch eher eine andere Gegend aussuchen, vielleicht eine Gegend, die Bob Ross gemalt hat. Bei Kim Dorland ist die Natur noch gross und bedrohlich, was sich auch in den grossen Bildformaten zeigt. Die wuchtige Selbstverständlichkeit, mit der er seine Bäume ins Bild setzt, diese suggestive Annäherung an die Originalgrösse, konfrontiert uns mit einer Naturempfindung, die Schiller als das "Erhabene" kennzeichnet. (Schreckliche Natur durch Kunst gebändigt). Hier wird uns bewusst, dass uns die Natur nie wirklich geheuer ist, nicht mal in den urbanen Randzonen, den sogenannten "Naherholungszonen". Gerade in diesem Übergangsbereich ist die Einsamkeit am grössten, ein Effekt, den beispielsweise auch Edward Hopper nutzt. Wenn Menschen bei Dorland überhaupt in Erscheinung treten, dann nur als verirrte Einzelgänger. Irgendwie schemenhaft. Nur zufälllig scheinen sie ins Bild geraten zu sein. Und auch wenn sie zu zweit oder dritt unterwegs sind, wirken sie wie Einzelne, die kaum etwas miteinander zu tun haben. Dorlands Zwielicht macht sie zu Geisterfiguren. Sie stehen einfach so da oder tappen orientierungslos umher. Das Woher und Wohin bleibt im Unklaren. Dorland malt wohl hie und da eine menschliche Behausung in die Ödnis, einen bemoosten Wohnwagen oder eine einsame Hütte. Aber das sind keine Zufluchtsstätten. Man fragt sich, wer so weit draussen überhaupt noch wohnt. Ohne Handyempfang und Postadresse. Hin und wieder verwandelt sich Dorland in einen zivilisationsmüden Trapper, dann betritt er die "unberührte Natur", die er mit vielen wilden Tieren bevölkert. Seltsam friedlich und gelassen, fast wie im Märchen, streifen sie durch die Wildnis, von Menschen unbehelligt, aber dem Betrachter ganz nah. Es scheint, als wäre die Abwesenheit des Menschen ein Segen, als wäre die Natur hier wirklich ein Paradies. Man kann also nicht behaupten, Dorland stelle die Natur immer nur als fremdartig oder unheimlich dar. Als etwas, von dem man Abstand halten muss. Er rückt sie relativ nah an uns heran. Er liebt sie. Aber er weiss auch, dass sie uns das nicht immer zurückgibt. Man kann einen Baum umarmen und küssen, aber wenn er einem auf den Kopf fällt, ist man erledigt.

 

Kim Dorland ist nicht nur Landschaftsmaler. Er ist auch bekannt für seine Porträts, in denen er seinen nüchternen Realismus mit der Expressivität wuchernder Spachtelfarbe verbindet. Und daneben ist er auch ein Maler der Strassen, Häuser und Gärten verschlafener Vororte. In diesen Ansichten fühlt man sich zu Hause, sie sind unspektakulär und haben einen dezenten Anstrich von Konventionalität. Ich mag seine Häuser. Sie haben Charme. Ich mag es, wie er das Vertraute einfängt, die Intimität der nachbarschaftlichen Umgebung. Und trotzdem ist auch hier eine gewisse Leere zu spüren. Oft steht ein nachtdunkler Himmel über den Dächern, und im Hintergrund sieht oder erahnt man eine Waldsilhouette, die noch schwärzer ist als der Himmel. Vielleicht empfindet man deshalb diese Häuser als so traulich und sicher: weil man weiss, dass es ausserhalb des Bildrahmens nur noch Bäume gibt. In Kanada eine Selbstverständlichkeit. Was es bedeutet, unter einem Dach zu leben, ist einem Kanadier wahrscheinlich jederzeit bewusst: kaum ein anderes Land ist so dünn besiedelt. In meiner Galerie ist Kim Dorland zweifellos der Maler, der seine Malweise am vielfältigsten variiert. Er wendet verschiedene Techniken an, malt in mattem Acryl, mit glänzender Sprühfarbe und natürlich auch mit Öl, das er sehr dick aufträgt, sodass schrundige Texturen entstehen. Diese wollen nicht schön sein, sie wollen elementar sein, reine Farbmaterie. Sie sind roh und ungeschlacht, rücksichtslos aufgeschmiert. Sie widersetzen sich dem Bedürfnis, die Natur- und Vorortansichten als Idyllen zu geniessen. Dorlands Malstil erscheint meisterlich konventionell - und ist doch über weite Strecken sehr widerborstig. 

 

Adam Lee lebt in Melbourne, Australien, und hat Jahrgang 1979. Er ist ein Maler, der aus Bildarchiven schöpft, aus persönlichen und kollektiven. Er ist auch ein Maler der Folkloren und Legenden, ein Mythenforscher und Erzähler, vielleicht sogar ein Magier. Mit seinem Pinsel erweckt er die Magie des "Es war einmal". Seine suggestiven Hell-Dunkel-Porträts erinnern an historische Photographien. Dabei beziehen sie sich nicht auf eine bestimmte Epoche, sondern erzeugen eine Art Zeitflimmern. So wie man mit halb zugekniffenen Augen etwas verschwimmen lässt, legt Adam Lee über das Historische einen Schleier der Diffusität. Da sieht man ein Hippie-Mädchen oder einen alten Soldaten in klassischer Pose und mit irgendeinem Fummel oder Hut oder sonstwas angetan, einem Stück Stoff, das aus einer Brockenstube stammen könnte und ausschliesslich dazu dient, jemanden extra für ein Bild "zurechtzumachen". Und vielleicht geht es da mehr um die Kostümierung als den Menschen. Man erkennt eine Uniform oder ein Hippiegewand oder beides zugleich. Es könnte eine Figur von 1868 oder 1968 sein. Es könnte jemand sein, der in Woodstock ein auffälliges Kostüm getragen hat, jemand wie Jimi Hendrix, der manchmal in einer napoleonischen Husarenjacke aufgetreten ist. Oder es könnte jemand sein, der 1868 in einem Planwagen durch Australien gezogen ist oder tatsächlich unter Napoleon gedient hat. Es bleibt im Unklaren. Es ist auch nicht wichtig. Ich kann mir gut vorstellen, dass Adam Lee sein Atelier bis unter die Decke mit vergilbten Fotos aus alten Illustrierten tapeziert hat. Wie in einer Taucherglocke lässt er sich in die Tiefen des eigenen oder kollektiven Gedächtnisses hinabsinken und spürt den wahren oder erfunden Geschichten von früher nach. Adam Lee beschwört die Vergangenheit, aber er macht das nicht wie ein Historiker. Er macht es wie ein Künstler. Seine Vergangenheit ist eine imaginierte, er lässt sich von historischen Fundstücken inspirieren, die ohne ihren ursprünglichen Kontext frei herumschweben und in Träumen und Halluzinationen aufgehen. Das hat etwas Psychedelisches, den Flow einer Trance. Häufig greift Adam Lee zum Stilmittel der Diffusität. Seine Figuren sind von einer geheimnisvollen Aura umflossen, von schwebenden Farbwolken, von schimmernden und wabernden Dünsten, die sich in einer undefinierbaren Weite verlieren. Adam Lee ist kein Landschaftsmaler, obwohl er eine Menge Landschaften malt. Auf seinen grössten und prächtigsten Gemälden sind menschliche Figuren kaum noch von Bedeutung, falls sie denn überhaupt vorkommen. Alles ist hier Raum, Landschaft und Atmosphäre. Aber wie soll man das beschreiben? Diese Räume sind reine Imagination, und vor allem sind es Übersteigerungen: als würde man "Den Herrn der Ringe" auf LSD sehen. Es brodelt und wallt wie in der Frühromantik, seltsame Gewächse wuchern, man weiss nicht, wohin man die Augen richten soll, es gibt kaum Orientierungspunkte. Zuweilen fühlt man sich wie auf einem anderen Planeten. Und hier schliesst sich denn auch der Kreis, hier spannt sich der mythische Bogen von der imaginären Vergangenheit zur imaginären Zukunft. Adam Lee ist ein Mythenmaler, und Mythen kommen zwar aus der Vergangenheit, verweisen aber auf einen Zustand der Zeitlosigkeit. Sie funktionieren auch in der Zukunft oder auf fernen Planeten. 

 

Danny Fox, Jahrgang 1986, stammt aus Grossbritannien und arbeitet seit einigen Jahren in Los Angeles. In meiner Galerie fällt er ein bisschen aus dem Rahmen, nicht nur wegen seiner Malweise oder weil er den Aufstieg zum erfolgreichen Maler als Autodidakt geschafft hat, sondern hauptsächlich deswegen, weil seine Lebenshaltung direkt in sein Schaffen einfliesst und es mitbestimmt. In diesem Punkt unterscheidet er sich stark von den andern Malern in meiner Galerie. Was sie in ihren Bildern von sich preisgeben, beschränkt sich auf die Wahrnehmungs- und Arbeitsweise, die ästhetische Haltung, die Innenwelt. Doch man weiss im Grunde nicht, was das für Menschen sind, was sie ausserhalb ihres Ateliers umtreibt, was ihre sonstigen Interessen sind. Das ganze Drum und Dran ist für die Malerei nicht relevant. Wie auch die Lebenshaltung dieser Künstler nicht wirklich in die Kunst einfliesst, sondern sie allenfalls ermöglicht. Die Kunst ist die Kunst, und das Leben ist das Leben. Nicht so bei Danny Fox. Was immer mit ihm in Verbindung steht, egal, wie banal oder persönlich es ist, kann in seiner Malerei zum Thema oder Aufhänger werden. Er lässt sich vielseitig anregen, nicht zuletzt auch vom eigenen Alltag. Er bekennt sich dazu, ein Poet zu sein, der, um den Leitspruch der Amrainer Gespräche mit Gerhard Meier zu zitieren, "die dunkle Feier des Lebens" würdigt, ganz in der Tradition von Thomas Dylan, Hemingway und Bukowksi. Danny Fox poetisiert (d.h. würdigt und erhöht) den Rohzustand der menschlichen Existenz. Dem entspricht auch sein Auftreten. Er ist kernig, unangepasst und bodenständig. Ein Poet mit Realitätssinn. Ein ganzer Kerl, könnte man sagen, vielleicht sogar ein Desperado. Ich kenne ein einziges Interview mit ihm, und das ist hochinteressant. Er spricht über Ehrlichkeit und meint, dass man als junger Künstler zuerst einmal zehn Jahre lang in ein heimliches Buch zeichnen müsse, bevor man etwas erreichen könne. Er kokettiert mit seinem Aussenseitertum und nennt sich den "dunklen Drachenlord". Er ist sehr belesen und gibt gerne literarische Anekdoten zum Besten, erzählt zum Beispiel, wie Thomas Dylans Frau in der Küche ein Messer nach dem Poeten geworfen habe, und im übernächsten Satz kommt er auf persönliche Beobachtungen zu sprechen und erwähnt eine junge Frau, die sich Muschisaft hinter die Ohren streicht. Was es doch nicht alles gibt! Er nennt die Dinge beim Namen, verzichtet auf hochtrabende Theorien, überhaupt auf jedes Kunstgelaber, und redet nur so über Kunst, wie er sie auch umsetzt: als ein Maler, der die Dramatik des Lebens in eine direkte Bildsprache packt. Er malt Boxer, nackte Weiber, Eisverkäufer, Reiter, Frauen, die auf Stühlen sitzen, Liebespaare, Dudelsackspieler, Soldaten, Penner, Matrosen und noch mehr nackte Weiber. Seine Darstellungen und Figuren sind keineswegs realistisch. Sie sind wahrhaftig. Sie sind echt wie das Leben, ohne das Leben kopieren zu wollen. Sie haben diesen leicht schematischen Gestus, den man von Matisse kennt, und zugleich die Rohheit der Figuren von Basquiat. Auch die Beschäftigung mit Outsider-Kunst, Art Brute und Henry Rousseau spielt da hinein. Wobei sich die Frage stellt, mit welchem Reflexionsgrad Danny Fox seine Malweise entwickelt hat. Hat er sie überhaupt entwickelt? Oder ist sie ihm zugefallen? Ihre Laienhaftigkeit - ich setze das Wort bewusst nicht in Anführungszeichen - ist keine Stilübung. Ich glaube nicht, dass Danny Fox auch anders malen könnte. Ich bin mir fast sicher, dass er im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung weniger seine Malweise oder Maltechnik als seine Persönlichkeit entwickelt hat. Wenn man so malen will wie er - so direkt und echt, ganz aus der eigenen Persönlichkeit schöpfend - muss man nicht unbedingt malen können. Man muss aber eine Persönlichkeit haben. Oder besser gesagt: eine Persönlichkeit SEIN. Daraus, aus einer stark konturierten Persönlichkeit, beziehen seine Bilder ihre Kraft, ihre Unausweichlichkeit, was keineswegs nur im Kontext primitiver oder naiver Kunst angesehen werden muss. Danny Fox könnte auch ein malender Rockmusiker sein, ein Comiczeichner oder Popliterat, der die Schreibmaschine hin und wieder mit dem Pinsel vertauscht. In der Comic-, Werbe- und Illustrationswelt ist seine Bildsprache äusserst beliebt und weit verbreitet. Eher Mainstream als Outsider-Kunst. Vielleicht sogar Pop-Art, eine Kunst, die sich gut gebrauchen lässt und leicht zugänglich ist. Und die deshalb dem Leben und dessen Alltagskultur total zugewandt ist. Und da kann ihm buchstäblich alles zufliessen, auch Triviales und Pubertäres. Dazu zählt zum Beispiel die immer wieder aufleuchtende Abenteuer-Nostalgie, die an Seemannstatoos und Jack London erinnert. Und selbst Spielkarten dienen Danny Fox als Inspirationsquelle, jedenfalls legen seine Bilder das nahe. Die vielen Blumen, Sonnen, Tierköpfe, Topfpflanzen, Karaffen, Vögel und Sterne, die der Künstler überall einstreut, könnten Symbole wie Herz, Bube oder As sein, einfache Zeichen, die auf das Schicksal deuten, den Pendelschlag zwischen Glück und Unglück. Das Dramatische, das Erzählerische, bei Danny Fox ist es allgegenwärtig. Er nennt es Poesie, und es nährt seine Malerei wie ein Pilzgeflecht, das nicht nur in die Kunst, sondern auch in die Literatur hineinwuchert und den Künstler an ein grosses Bezugsnetz anschliesst. Was andere gedacht, geschrieben und gedichtet haben, wirkt in das eigene Schaffen hinein. Poet ist man nicht nur für sich alleine. Wer die eigene Existenz poetisch umkreist und verdichtet, sie zu einer Erzählung gestaltet, tut das immer im Verein mit anderen Poeten, anderen Stimmen, in einer inspirativen und vielleicht sogar konspirativen Verkettung. Jede Erzählung bewegt sich in einem poetischen Kraftfeld. Immer antwortet sie auf Erzählungen, die schon da sind. Immer ist eigentlich alles schon da: man muss es nur finden und darauf reagieren. Mit Thomas Dylan und anderen Poeten steht Danny Fox in einem fruchtbaren Dialog: sein ganzes Schaffen ist ein Selbstgespräch unter Beteiligung von Toten, die nicht wirklich tot sind, weil sie post mortem weiterreden und weiterschreiben.

Die ergiebigste Inspiration bezieht Danny Fox jedoch aus seinem Alltag, aus täglichen Begegnungen. Er malt den Eisverkäufer, bei dem er ab und zu ein Eis kauft. Er malt Leute, die am Strassenrand sitzen, Männer mit Cowboy-Hüten, Frauen in Sommerkleidern. Es sind keine Porträts, keine Individuen, die man einwandfrei identifizieren könnte, es sind einfach nur Menschen, common people, wie man sie überall antreffen kann. Danny Fox verleiht ihnen eine zeitlose Bedeutung und Würde. Das gilt auch für die Menschen, die er in ihrer häuslichen Umgebung zeigt, neben Blumen und Blumentöpfen, diesen für Danny Fox so typischen Emblemen, die man hier automatisch mit Privatheit und Intimität verbindet. Manche Darstellungen tendieren zum Stilleben und kontrastieren seltsam mit dem wilden Outsider-Gestus. Man kann es kaum glauben, aber hinter dem "dunklen Drachenlord", dem Poète maudit und Abenteurer kommt ein Idylliker zum Vorschein, ein Maler "edler Einfalt und stiller Grösse". Ein Maler menschlicher Eintracht. 

 

2023