Was ist Humor?

Humor in der Kunst, Kunst im Humor

 

Die Relevanz des Humors für die Kunst des 20. Jahrhunderts

 

Gemäss D. Morris(1) ist das Lachen eine Abwandlung kindlichen Weinens. Humor ist psychisch ambivalent. Er beinhaltet den Übergang von „Schmerz“ zu „Erleichterung“ und dient in der praktischen Lebensbewältigung als Schmerzmittel und Ventil. In politischer, sittlicher und sexueller Hinsicht hat Humor eindeutig eine Ventilfunktion. Mit Humor lässt sich die Unzulänglichkeit der menschlichen Existenz besser ertragen. („Humor ist, wenn man trotzdem lacht“). Das Lachen hängt mit Leidenserfahrungen zusammen. Humor ist eine Art Puffer zwischen Ansprüchen und Enttäuschungen. Die Kluft zwischen Ideal und Wirklichkeit (Aristophanes: “Die Vögel”)(2) hat immer einen komischen, d.h. entlarvenden und entlastenden Effekt. Humor attackiert Normen. Aber er hat auch eine regulative und stabilisierende Funktion. Er ist sowohl progressiv als auch konservativ. Als ein Spiel mit Vernunft und Unvernunft entwirft er „falsche“ Zusammenhänge, entdeckt durch kontextuelle Verdrehungen einen verborgenen Sinn und stellt damit überkommene Wertungen in Frage, ohne selbst wertfrei zu sein. Humor enthält immer Wertungen in Bezug auf das, was man für witzig hält. Er setzt eine Akzeptanzschwelle, wo er Inakzeptables thematisiert, umreisst Tabus, wo er mit Anrüchigem spielt. Humor weiss, wann und wo er aufhören soll. Er ist anarchisch, aber nicht anarchistisch. Weltverbesserer und Revolutionäre sind genauso humorlos wie Sitten- und Moralwächter. Humor spielt mit dem Dazwischen, der Bruchlinie des Uneindeutigen. Während  er gegen Restriktionen seine Narrenfreiheit ausspielt, führt er dem System, gegen das er seine Waffen in Stellung bringt, neue Kraft zu. Dies könnte man als “Loriot-Effekt” bezeichnen: die berühmten knollennasigen Loriot-Männchen bestätigen indirekt ein konservatives Wertesystem. Obwohl sie es ins Lächerliche ziehen, sind sie weit davon entfernt, es zu widerlegen. Sie brauchen und aktivieren es. Humor ist grundsätzlich eine positive oder bewahrende Kraft. Aber nicht nur. In dieser Positivität gibt es meistens einen Stachel. „Etwas Formales wird von etwas Informellem attackiert, etwas Organisiertes und Kontrolliertes von etwas Lebendigem, Energetischem,“ schreibt die Ethnologin Mary Douglas(3) über die progressive Ausrichtung des Humors. Dadurch, dass Humor gegen Regeln verstösst, erzeugt er einen geistigen und sozialen Code, der die Unvereinbarkeit verschiedenartiger Normen deutlich macht. Humor wird immer dort aktiv, wo Verunsicherung herrscht, Uneindeutigkeit die Sicht trübt. Hier kann Humor einerseits den Riss im Sinngefüge aufzeigen, andererseits ein Schmerzmittel verabreichen: das Lachen. Lachen stiftet Sinn und Gemeinschaft. Ausgelöst wird es durch einen codierten Reiz, einen erahnten, nicht offen kommunizierbaren Widerspruch, oft auch ein Klischee oder Vorurteil, das zwar als moralisch heikel empfunden wird, aber gerade deshalb genussvoll zelebriert wird. (Blondinenwitze contra Feminismus). Der Witz funktioniert nur, weil er typisiert. Er setzt Figuren oder Gruppen ein, über die schon eine verbreitete Meinung besteht. Die Sujets und Beweggründe des Witzes hängen von Zeitbefindlichkeiten und dem jeweils vorherrschenden Normengefüge ab. Deshalb sind Witze früherer Zeiten oder fremder Kulturen nicht ohne weiteres verständlich. Was für den Witz gilt, gilt auch für den Humor insgesamt. Humor ist zeit- und ortsgebunden, er ergibt sich aus der Situation, der Stimmungslage, der historischen Gegebenheit, er reagiert, wird provoziert. Er unterliegt gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen, spiegelt Brüche und Auflösungen in allzu rigiden Denkmustern. Die Schwachstellen einer Kultur zeigen sich in dem, worüber gelacht wird. Da Humor weder ahistorisch noch transkulturell ist, lässt sich auch keine allumfassende Theorie(4) des Humors entwickeln. Allerdings gibt es sehr wohl einen humoristischen Universalismus. Je reduzierter und performativer der Humor, desto eher überwindet er zeitliche und kulturelle Schranken. Ein Humor, der ohne Sprache auskommt und auf Pantomime und Akrobatik setzt, wird in der Regel mit dem Clown identifiziert, und obwohl er verschiedenartige Kostüme trägt, ist der Clown ein Archetyp, der alle kulturellen Schranken überwindet. Er ist durch und durch universal.

 

 

Humor als Gestaltungsmittel

 

 

Komik als Gestaltungsmittel in der Kunst hat eine lange und beständige Tradition und arbeitet mit spezifischen Möglichkeiten der Darstellung und Inszenierung. Obwohl sich diese Möglichkeiten auf sämtliche Kunstgattungen erstrecken, möchte ich mich im folgenden auf die Bildmedien und die bildende Kunst beschränken. Hier einige Beispiele für die Funktionsweise von Komik in der künstlerischen Darstellung:

 

 

- Übertreibung, Überzeichnung, Unverhältnismässigkeit

 

- Entstellung, Grimasse

 

- Verniedlichung, Drolligkeit

 

- Nachahmung, „Nachäffen“

 

- Simultanität, Vervielfachung, Gleichschaltung

 

- Umkehrung, Verdrehung, Transvestie

 

- Destruktion

 

- Unvereinbarkeit, Dissonanz, Unangemessenheit

 

- Spott, Abwertung

 

- Regelverstösse, Faux-pas

 

- Debilität, Idiotie

 

- Aufhebung logischer Zusammenhänge, Nonsense

 

- Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität

 

- Schock, böse Überraschung

 

- die “schlimmstmögliche Wendung” (Dürrenmatt)

 

- die Macht des Zufalls

 

- Monotonie, Wiederholung, „Ticks“

 

- spastisch unkoordiniertes Verhalten

 

 

In den meisten Fällen agiert Komik simultan auf mehreren dieser Felder. Sie kann z.B. destruktiv sein (Dick und Doof demolieren ein Zimmer) und gleichzeitig etwas aussagen über die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität (Dick und Doof wollen das Zimmer hübsch einrichten). Auch die Unvereinbarkeit (schöne, teure Möbel und grobschlächtiges Hantieren) sowie die Übertreibung (kein Mensch ist in Wirklichkeit so ungeschickt) tragen in diesem Beispiel wesentlich zur Komik bei. Anhand des Slapsticks lassen sich zwar die Mechanismen der Komik recht gut veranschaulichen, aber man sollte dabei doch im Hinterkopf behalten, dass man es hier mit einem Humor zu tun hat, der recht einseitig auf Unterhaltung und Belustigung aus ist. Er greift auf ein bestehendes Repertoir zurück, variiert gewisse Grundbausteine, ohne sie zu verfremden. Seine Absicht ist rein funktional: er möchte funktionieren, den richtigen Knaller am richtigen Ort platzieren. Nicht weniger reduktionistisch ist sein Menschenbild. Dieses besteht aus zwei einfachen Bestandteilen: einem kruden Defätismus und einer objekthaft agierenden Physis. Die Direktheit in der meist nonverbalen Darstellung und die voraussehbare Unentrinnbarkeit des Misslingens (das auch ein Gelingen gegen jede Wahrscheinlichkeit sein kann) erzeugen eine Komik, die - im Gegensatz zum Humor im allgemeinen - ziemlich zeitlos und verlässlich ist. Andererseits ist sie auch ziemlich vorhersehbar. Neben der Pornografie ist der Slapstick wahrscheinlich die Filmgattung mit den einfachsten Spielregeln. Wenn Dick und Doof ein Klavier zügeln, weiss man schon zum voraus, dass man das Klavier abschreiben kann. Die Situation ähnelt einem Ritual: man lacht, weil man den Ausgang des Geschehens schon kennt. Weil man mit dessen Regeln vertraut ist. Slapstick ist determiniert durch ein fixes Schema aus Reiz, Erwartung und Reaktion. In diesem Kalkül kann auch Tragisches, Sentimentales und Hintergründiges aufscheinen: Charlie Chaplin und Buster Keaton haben den Spagat zwischen Gag und Tiefsinn meisterlich beherrscht. Bei ihnen wird der Slapstick ins Philosophische transponiert. Er wird komplex, er vertieft und verrätselt sich, wird anrührend in seiner Menschlichkeit, seinem “magischen Realismus”. Obwohl der Tonfilm den körperbetonten Slapstick in die Komödie überführt hat, gibt es unzählige Neuauflagen des Slapstick-Genres, etwa bei Richard Lester, Jacques Tati, Benny Hill, Monty Python, Blake Edwards, Woody Allen, Mister Bean und Leslie Nielsen.

 

Die Bedeutung des Slapsticks kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Er besitzt das Potential, den performativen Humor immer wieder neu zu erfinden. Das liegt auch an der lebensnahen Direktheit des Mediums. Einer der ersten Kurzspielfilme der Gebrüder Lumière aus dem Jahr 1895 handelt von einem Gärtner, der von seinem Gartenschlauch nassgespritzt wird, nachdem ein Junge die Wasserzufuhr unterbrochen hat. Dieser Gärtner ist kein Clown: es ist ein ganz normaler Mann. Er könnte unser Nachbar sein. Durch den Stummfilm hat sich die Figur des Clowns, die ursprünglich sehr schablonenhaft war, modernisiert und erweitert. Clownstypen wie der Harlekin und der Dumme August wurden aus der exotischen Zirkus- und Vaudeville-Umgebung befreit und zu Spielarten des "Herrn Jedermann" umgeformt. Ausserdem lässt sich der Slapstick sehr gut mit anderen Genres und Gattungen kombinieren. Das beste Beispiel dafür sind die Marx Brothers, die ihn mit Wortwitz und Musik angereichert haben. Die massgebliche “Lehranstalt” für Humor finden wir allerdings nicht im Film, sondern in Kunstgattungen, die nicht dem filmischen Zwang zur Direktheit unterworfen sind: etwa in der Literatur oder im Theater. (5) Auf diesen Gebieten hat sich der Humor schon im 19. Jahrhundert von der Komödie - dem Schauspiel blosser Belustigung - emanzipiert und mit dem Tragischen versöhnt. Humor, der sich maskiert, indem er mit Verstellung (Understatement), Ironie oder Doppelbödigkeit arbeitet, erweist sich oft als Bestandteil einer künstlerischen Strategie, die mehr erreichen will als den Kitzel blosser Belustigung. Ironie, als die vielleicht wichtigste und komplexeste Form von Humor, wird in der Kunst vorzugsweise als „Verunsicherungsstrategie“ eingesetzt. Der Ironiker meint nicht unbedingt immer das Gegenteil dessen, was er sagt. Vielmehr lässt er offen, wie er es meint, um nicht in die sokratische Falle der Dummheit zu tappen. Er redet und handelt im uneigentlichen Sinn. Ironie lässt die Dinge im Unbestimmten, hält Irritationen und Unsicherheiten wach. Sie hat mit Bewusstsein zu tun, nicht mit sicherem Wissen. Generell kann man sagen, dass sich mit Hilfe der Komik eine künstlerische Absicht konstituieren lässt, die über das Komische hinausgeht, wie etwa bei Karl Valentin, dem vielleicht einflussreichsten Humoristen des 20. Jahrhunderts. In seiner vertrackten, niemals bloss lustigen Komik führt er die existentielle Absurdität des mit der Welt und sich selbst entzweiten Menschen vor.

 

 

Destruktion und Verweigerung: Dadaismus

 

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernahm eine pathetisch bejahende Kunst(6) die Führung. Die Zukunftsschwärmerei der Modernisten scheint den Humor regelrecht herausgefordert zu haben, denn Pathos ist jeglichem Humor diametral entgegengesetzt. Der Bruch mit der traditionellen Kunstauffassung erwies sich als unvollständig. Die meisten Avantgardisten blieben insofern der Tradition verhaftet, als sie eine objektiv gültige Ästhetik anstrebten. Den metaphysischen Schwulst, den sie durch die Vordertür hinausgejagt hatten, schmuggelten sie durch das Hintertürchen ihrer Theorien wieder herein: erneut machte sich der Künstler zum Verkünder höherer Wahrheiten, erneut wurde Kunst zur Religion erklärt. Widerstand gegen diesen Idealismus konnte nicht ausbleiben. Während des ersten Weltkriegs drang der Humor als gestaltgebende Kraft brachial in das Kunstgeschehen ein. Die Modernisten hatten dem Horror des technisierten Kriegs wenig entgegenzusetzen. In ihren Elfenbeintürmen träumten sie noch immer vom idealen Menschen und seinen grossartigen zukünftigen Errungenschaften. Der Dadaismus war eine Kampfansage nicht nur an bürgerliche Moral und Ästhetik, sondern auch an den Modernismus. Dada war eine verneinende Kunst, eine Anti-Kunst, und die Waffe, mit der die Dadaisten zum Rundumschlag ausholten, war das Hohngelächter. Anti-idealistisch, zeitkritisch und auf grösstmögliche Widersprüchlichkeit bedacht, stellten sie jede Form von Stimmigkeit und Fixierung bloss. Humor sollte geistige Blockaden lösen durch Ironisierung und Provokation. Die Hardliner unter den Dadaisten realisierten den offenen politischen Protest, was allerdings einem Pleonasmus gleichkam. Als Manifestation des Narrengeistes(7) in einem Klima geistiger Repression war Dada an sich schon unmissverständlich politisch. Schon eine simple Geste der Sinnverweigerung kann hochexplosiv sein, wenn sie auf ideologische Zwänge trifft. Die dadaistische Provokation war keiner Ideologie verpflichtet, auch nicht dem Pazifismus. Sie war im Prinzip gegen alles und nichts. Einzelne Dadaisten outeten sich als extreme Chauvinisten, andere setzten sich einen Heiligenschein auf. Man fluchte, proklamierte, betete, sang und lallte: ein einziges Irrenhaus. Der Forderung nach Gesinnungstreue widersetzt man sich am leichtesten durch Sinnwidrigkeit: so wie ein Militärdienst-Verweigerer am leichtesten davonkommt, wenn er sich schwachsinnig stellt, sich geistig “ausklinkt”. Obwohl sich die Entstehung von Dada nur aus der Zeitlage heraus verstehen lässt, als Reaktion auf den ersten Weltkrieg und den säbelrasselnden Nationalismus, der ihn entfacht hat, hat dieser spezielle Narrengeist doch eine überzeitliche Bedeutung erlangt. In seiner Nachfolge steht bis heute eine Radikal-Kunst, die es ablehnt, sich von gesellschaftlichen Regelsystemen vereinnahmen zu lassen. Das Spektrum heutiger "Dadasophen" reicht von Streetart-Künstlern über Post-Punkern bis hin zu einer gewissen Sorte von Selfmade-Filmern, die ihre verkannte Genialität mit der Handy-Cam ausleben. Daneben ist Dada  - oder was sich davon erhalten hat - zu einer breit akzeptierten Strömung oder Unterströmung geworden, die sich in der zeitgenössischen Kunst enorm verästelt. Namhafte Künstler und Künstlerinnen wie Pipilotti Rist oder John Bock, auf die ich im letzten Kapitel noch näher eingehen werde, erweisen sich als medial verspielte Spät-Dadaisten. Auch im Mainstream der Unterhaltung tauchen immer wieder dadaistische Reminiszenzen auf, etwa beim deutschen Musiker und Allround-Komiker Helge Schneider, der gerne mit dadaistischem Nonsense jongliert, einem leerlaufartigen Witz ohne Pointe. Die ursprüngliche Radikalität von Dada kann jedoch fast nur noch von Amateuren und exzentrischen Einzelgängern zelebriert werden. Dada bekennt sich zur künstlerischen Zweckfreiheit. Kunst darf sinnlos sein, sie darf schlecht sein, sie darf auch nicht sein. Hinter der Maske der Subversion verbirgt sich eine asketische Hingabe an die Passivität, eine Verweigerung oder Enthaltung. Oft wird Dadaismus als Gesellschaftskritik missverstanden. Ein Gesellschaftskritiker witzelt nicht und gibt auch keinen Unsinn von sich (er will ja nicht als Spassvogel dastehen), und hinzu kommt noch, dass der dadaistische Humor zutiefst paradox ist. Er wird bestimmt durch zwei Seiten, die sich gegenseitig bedingen und sich doch in letzter Konsequenz ausschliessen: Destruktion und Verweigerung, Aktion und Enthaltung. Dada ist nicht nur lärmig, sondern auf vertrackte Weise auch kontemplativ. Während Grosz, Dix und Hülsenbeck einer verrotteten Gesellschaft den Spiegel vorhalten und dabei nicht vor Drastik und Zynismus zurückschrecken, betonen Arp und Schwitters die eher verspielte Seite des Dadaismus, die Lust am Paradoxen, am Unsinn, am Kindlichen. „Dada ist ohne Sinn wie die Natur. Dada ist für die Natur und gegen die Kunst. Dada ist unmittelbar wie die Natur.“ (H. Arp)(8) In vieler Beziehung ähnelt der dadaistische Humor sowohl den Methoden des Zen-Buddhismus als auch der kynischen Weisheit des Diogenes: jede begriffliche Einengung wird gesprengt, der Intellekt ausgetrickst, der gute Geschmack paralysiert. Alles Ursprüngliche, Unverstellte, meist mit Natur identifiziert, ist wahr. Das Ziel ist die Unbefangenheit des Kindes. Allerdings ist dieses Ziel nur durch Negation zu erreichen, durch Schabernack, der nicht „aufgeht“. Jede Eindeutigkeit und Parteinahme verbietet sich, Lösungen werden aus Prinzip verweigert. Ähnlich wie die Dadaisten und doch auch ganz anders hat sich Duchamp verweigert. Er bekannte sich zur „Meta-Ironie“(9) der totalen Indifferenz und ging dabei weitaus radikaler vor als die Dadaisten: er machte nicht nur Nicht-Kunst. Er machte aus der Nicht-Kunst Kunst.

 

 

Ironie und Bejahung: Paul Klee und Jean Tinguely

 

 

Ganz anders geartet als Duchamps „Meta-Ironie“ ist die modern-romantische Ironie Paul Klees. Unter romantischer Ironie versteht man laut Brockhaus „das immer wache Bewusstsein, dass zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen sowie zwischen Freiheit und Form kein endgültiger, sondern nur ein spielender Ausgleich möglich ist.“ In Klees Kunst ist das Bemühen um diesen Ausgleich spürbar. Seiner träumerischen Intuition, die dem Irrealen und Phantastischen zuneigt, steht eine hochbewusste Bilder- und Zeichensprache gegenüber. Mit Hilfe einer minutiösen Ironisierung gelingt es Klee, diesen Gegensatz fruchtbar zu machen. Während Duchamps „Meta-Ironie“ auf eine Präsenz der Negation zielt, eine Absage an jeden verbindlichen Sinn, äussert sich Klees Ironie in der Vielgestaltigkeit einer Präsenz, die zutiefst plural ist. Klee ist überall. Seine Ironie schöpft aus einem tiefen Weltverständnis, tastet überall nach Sinnbezügen. Klee bejaht, was er ironisiert, er liebt, was er mit dem Anschein des Absonderlichen umgibt. Schrecken paart sich mit Witz, Dämonisches wird burlesk, Abgründiges subtil. Auf versteckte Weise liegen das Erhabene und das Komische nah beieinander. Durch Ironie hält Klee die konträren Kräfte und Mächte seines poetischen Universums in einem schwebenden Gleichgewicht. Was er anstrebt, ist die „gegensätzliche Einheit“.(10) Klees Humor ist im besten Wortsinn „human“, nämlich bejahend, durchgeistigt, alles integrierend, produktiv. Das Leichte und Schwebende, das für Klees Bildwelt so charakteristisch ist, finden wir auch bei Tinguely. Auch er liebt, was er ironisiert. Einerseits können seine anmutigen, wie beseelt agierenden Objekte durchaus als eine Liebeserklärung an die Technik verstanden werden, andererseits formulieren sie eine fundamentale Kritik an Automatismen. Darin liegt eine doppelte Ironie. Der zeitkritische Schalk und das zweckbefreite Spiel finden wir ja schon im Dadaismus, dem Tinguely sehr nahesteht, aber es wäre falsch, Tinguely nur als neodadaistischen Provokateur zu sehen. „Wie der Mensch sein Leben durchwuselt und vor lauter Tuerei meist nicht zu Taten kommt, so sind Tinguelys Skulpturen der ironisch-poetische Kommentar zur angeblichen Effektivität unseres ständigen Unterwegsseins. Eine hübsche, höhnische Antwort des Künstlers auf die Rationalitätsgläubigkeit der technisierten Gesellschaft.“ (Gert Gliewe)(11) So wird Tinguely üblicherweise verstanden. Aber diese Einschätzung scheint mir zu einseitig. Tinguelys Humor ist viel untergründiger. Was an den „Métamatics“ irritiert, ist die verkappte Lust an dem, was hier angeblich persifliert wird. Tinguely verfremdet und ironisiert seine Technik-Faszination und stellt sie als eine „gebrochene Liebe“ in den Kunstkontext. Im Grunde will Tinguely Leben und Technik nicht als Gegensätze auffassen. Seine Ironie spricht von einer verlorenen oder nie zustande gekommenen Einheit. Im Wissen darum, dass die Technik für die Menschheit längst zum Alptraum geworden ist, träumt er noch immer den Traum DaVincis.

 

 

Transformation und Frechheit: Fluxus

 

 

Die neodadaistische Fluxus-Bewegung, Anfang der Sechzigerjahre in Europa entstanden, ist eine offene und deshalb nur schwer eingrenzbare Kunstform, bei der alles “im Fluss” sein sollte. Fluxus-Kunst zielt auf die Unterhöhlung und Aufhebung des herkömmlichen Kunstbegriffs. Das Kunstwerk verliert seine definierbare Kontur: es wird zum wandelbaren Ereignis, häufig auch zum Kollektivereignis. Im Zusammenspiel von Musik, Theater und bildender Kunst sollten die Grenzen zwischen den Künsten, aber auch zwischen Künstlern und Publikum aufgehoben werden. Im wesentlichen geht es darum, aktive Veränderungs- und Wandlungsprozesse als Prinzipien der Realität sichtbar und erlebbar zu machen. Humor übernimmt hier eine wichtige Funktion. Fluxus-Aktionen sind darauf angelegt, den Zuschauer/Zuhörer/Mitmacher in ein „geistiges Aktivum“ zu verwandeln. Der absurde Fluxus-Humor treibt die Situationskomik auf die Spitze, eine aus dem Theater schon lange bekannte Technik, die zum Mitgehen und Mitmachen auffordert und verführt. Dieser Humor zielt auf Verblüffung oder Verunsicherung, ein Lachen der Irritation. In jedem Fall geht es darum, Veränderungen hervorzurufen, eine Situation zu schaffen oder zu zerstören. Humor soll verwandelnd ins Leben eingreifen. „Fluxus ist eine Art, Dinge zu tun, eine Tradition, eine Lebensart und eine Sterbensart.“ (Higgings)(12) Im Unterschied zur Dada-Bewegung, die sich oft darin erschöpft hatte, moralische und ästhetische Werte zu demontieren, legt Fluxus die Hauptbetonung seiner Aktionen und Provokationen auf das unfixierbare Kontinuum von Leben und Kunst. Fluxus greift ein, stellt Unsinn an, verschwindet. Fluxus kann zwar rabiat sein, sogar brutal, strebt aber keine Destruktion an, es wird niemand angegriffen, keine Kampfstimmung erzeugt, sondern ganz im Gegenteil: man sucht Mitmacher und Mitspieler, man bietet eine Verwandlung an, den Durchbruch in ein anderes Sein, das nach Auffassung der Fluxisten nicht ohne Schock und Irritation zu erlangen ist. Der niederländische Künstler Willem de Ridder irritierte das Publikum eines Musikfestivals, indem er sieben Akteure mit weissen lachenden Masken auftreten liess. Das Irritierende daran: das Lachen blieb stumm. Es ergab keinen Sinn. Ebenso sinnlos agierte Yoko Ono, als sie ihren Kopf zu einer live dargebotenen Musikbegleitung rhythmisch auf den Bühnenboden schlug. Doch keine Fluxus-Aktion hat mehr von sich reden gemacht als die Klavierzertrümmerung von George Macunius und seinen Künstler-Kollegen ("Piano Activities", 1962), damals ein Skandal und die eigentliche Geburtsstunde der Fluxus-Bewegung. In seinem sinnbefreiten Agieren setzt Fluxus ganz gezielt auf die vitale Kraft des Humors, den anarchischen Antrieb zur Überwindung überkommenener Strukturen. Eine wichtige Erkenntnis von Fluxus wie überhaupt der Aktionskunst ist es, dass auch moderne, demokratische Gesellschaften nicht ohne Frechheit und Chaos auskommen. „Tatsächlich scheinen die modernen Gesellschaften gerade dadurch, dass sie die Freiheit des Denkens und der Meinungsäusserung prinzipiell gewähren, eine maximale Sozialdisziplin erreicht zu haben. Ausübung von Frechheit ist ein Akt der Freiheit, ein Akt der Distanznahme.“ (A.U.Sommer)(13)

 

 

Wirklichkeitssinn und Parodie: Pop Art

 

 

Während Fluxus humoristisch in die Offensive geht, um die Menschen vor den Kopf zu stossen, haben wir es in der Pop Art mit einem passiv registrierenden Humor zu tun, einem schmunzelnden Einverständnis mit der Banalität des Wirklichen. Die Pop Art hat ein sehr direktes und pragmatisches Verhältnis zu den robusten Tatsachen, die uns umgeben. Stellt man die kaum beachteten, aber omnipräsenten Dinge des Alltags aufs Kunstpodest, so werden sie zu einem lakonischen Fingerzeig, einer humorvollen Geste. Die Pop Art ist in ihrem Ansatz sehr volkstümlich. Sie vertritt ein Wirklichkeitsbewusstsein, das die materialistische Kultur des Alltags als Gegebenheit akzeptiert und in die künstlerische Gestaltung miteinbezieht. Der Künstler befreit sich vom Zwang, die Wirklichkeit künstlich (d.h. symbolisch und idealistisch) mit Bedeutung aufladen zu müssen. Er kann sie als das annehmen, was sie ist. Banale Objekte, Stereotypen und Insignien werden durch Isolierung, Ausschnitt, Vergrösserung, Reihung oder Imitation verfremdet und parodiert. Dadurch, dass der Künstler den Dingen vorurteilsfrei begegnet, an ihnen Gefallen findet, „weil sie so sind, wie sie sind“ (Jasper Johns)(14), öffnen sich grosse Spielräume für Interpretation und subjektives Empfinden. Die Pop Art ist zwar nüchtern, aber nicht eindimensional. Jasper Johns etwa malt Flaggen, Zielscheiben, Buchstaben und Zahlen, die er als „vorgeformte, konventionelle, entpersönlichte, sachliche, äussere Elemente“(15) auffasst, die aber durch die Neutralität, die sie ausstrahlen, sowie ihre malerisch-experimentelle Umformung eine tiefere Bedeutungsschicht sichtbar machen. Johns, ein strenger Analytiker, mag vielleicht kein besonders humorvoller Künstler sein, aber in einem Werk wie „Fool’s House“ (1962), in welchem er einen Besen auf der gemalten Bildfläche anbringt und zu einem überdimensionalen Pinsel umfunktioniert, blitzt doch ein Humor auf, der für die Pop Art charakteristisch ist. Johns geht es allerdings weniger um den witzigen Effekt als um die Reflexion über den Einbezug der Realwelt in das Bild, ein Thema, das die Assemblage seit ihren Anfängen begleitet, hier aber radikalisiert wird durch die Konfrontation eines einzelnen Gegenstands mit der Malerei. Die Realität dringt als ein parodistisches Element in die Bildfläche ein und stellt den Betrachter vor völlig neue Anforderungen. Verschiedene Realitätsbegriffe werden miteinander kombiniert, gegeneinander ausgespielt. Es entsteht eine Reibungsfläche, eine kalkulierte Unstimmigkeit, die, so witzig sie auf den ersten Blick auch erscheinen mag, mit kniffligen philosophischen Fragen aufwartet. Der Betrachter wird gezwungen, seine Denk- und Sehgewohnheiten neu auszurichten. Hier zeigt sich die Pop Art von ihrer analytischen Seite, während sie, wie man am Beispiel Claes Oldenburgs aufzeigen kann, auch eine sinnliche und wuchernde Seite hat. Oldenburg beschäftigt sich mit der Bestandesaufnahme dessen, was ihn umgibt. Sein Ziel ist „eine Kunst, die ihre Form direkt dem Leben verdankt, die sich windet und ausdehnt... und schwer ist und grob und ungehobelt und süss und blödsinnig wie das Leben selbst.“(16) Er imitiert Gegenstände des täglichen Gebrauchs, indem er sie in eine andere Materialität überträgt und teilweise auch monumentalisiert: Esswaren mutieren zu kitschig bemaltem Porzellan, Zigaretten wachsen zu Riesenwürmern an, ein Telephon aus Vinyl hängt wie ein Sack an der Wand. Das Vertraute, Alltägliche wird monströs, grotesk, bedrohlich, widerborstig, es zieht eine Fratze. Mit seinen Verfremdungen stellt Oldenburg die „funktionelle zeitgenössische Magie“(17) der Dinge heraus, ihre Macht und Unheimlichkeit. Laut Sigmund Freud(18) ist das Unheimliche die bedrohliche Kehrseite des Heimeligen, der Schatten aus Angst und Irritation, den das Vertraute in der Phantasie hervorruft, wenn es für allzu selbstverständlich genommen wird: eine These, auf die sich bekanntlich Hitchcock berufen hat und die man auch auf Oldenburgs Arbeiten anwenden könnte. In den kaum beargwöhnten Alltag dringt etwas ein, das seine Macht und Faszination daraus bezieht, dass es das Wohlbekannte verfremdet und entstellt und unser Vertrauen in die Realität erschüttert. Oldenburg parodiert die Realität, indem er die Grenze zum Grotesken lustvoll überschreitet. Damit schärft er unser Bewusstsein für die machtvolle Totalität des Alltags.

 

 

Selbstbehauptung und Entgrenzung: Pipilotti Rist und John Bock

 

 

Postavantgardistische Kunst ist aufgesplittet in eine Vielzahl von Konzeptionen, Stimmen und Haltungen. Generell lässt sich jedoch sagen, dass Kunst nicht mehr das Besondere will, das „Andere“, sie fokussiert das Reguläre, das Normale(19). Sie bewegt sich in gesellschaftlich gesicherten Bahnen, tendiert zu Dienstleistung und Unterhaltung. Kunstwerke attackieren kaum noch das Selbstverständnis der Allgemeinheit. Es sind regelkonforme Offerten, Interventionen, Versuchsanordnungen, Animationen und Kommunikationsmittel. Weitgehender als je zuvor ist Kunst verwaltet und kommerzialisiert. Sie ist eine Event-Maschine. Diese Situation kommentiert der Kunsttheoretiker Wolfgang Ullrich folgendermassen: „Verschwunden ist – spätestens mit Beuys’ Tod – der Künstlertyp, der im Namen grosser Wahrheiten und als gläubiger Weltverbesserer, mit der Aura des Revolutionärs auftritt und dies mit der angeblichen Reinheit der Kunst legitimiert. Dafür haben Ironie, Humor und Gimmicks ebenso Einzug in die Kunst gehalten wie die Techniken und Strategien der Unterhaltungsindustrie und des Lifestyle.“ (20) Heutige Kunstmessen sind ein Disneyland für gehobene Ansprüche, ein Anziehungspunkt sowohl für die breite Masse als auch für die Snobs des globalisierten Geldadels. Damit bricht Kunst mit ihrer zweihundertjährigen Tradition des moralischen und ästhetischen Widerstands und hofiert den Schönen, Reichen und Mächtigen. Wie Mode, Popmusik, Merchandising, Design, Fernsehunterhaltung, Fitness und Sport fügt sie sich problemlos in eine barock aufgeblähte, konsumfreudige Eventkultur. Hier ist alles opportun, was Spass macht und Geld bringt. Humor in der zeitgenössischen Kunst geht selten über das hinaus, was Bobby McFerrin in seinem berühmten Lied singt: "Don't worry, be happy!" Provokationen und Gesellschaftskritik sind zwar zulässig, aber nur in der richtigen Dosierung. Sobald sich damit kein Geld mehr machen lässt oder die Subventionen versiegen, hört der Spass auf. Im Grunde wissen alle, dass Kunst nicht mehr wirksam provozieren kann, und deshalb wird das Nichtprovozierenkönnen von vornherein einkalkuliert. Man gibt sich locker. Kunst steht tendenziell nicht mehr auf der Seite der Utopisten, Frustrierten und Rebellen. Man lacht, weil man sich mit den Gewinnern identifiziert, mit ihnen das positive Lebensgefühl, den Power, den Luxus teilen möchte. Dies zeigt sich besonders in der mit Popmusik und Werbung verbündeten Amerikanisierung des künstlerischen Habitus. Der Künstler wird zum medial verspielten, virtuos-oberflächlichen Entertainer: Mauritio Cattelan, Damien Hirst, Jeff Koons und viele andere Kunststars machen amüsante und massentaugliche Kunst, und oft agieren sie dabei auch als Selbstdarsteller und Manager. Der Künstler ist nicht mehr das Genie, das überall aneckt, er ist Unternehmer und vertritt sich selbst als Marke. Im Grunde genommen spielt es keine Rolle mehr, ob man Adidas-Schuhe, Apple-Computer oder Kunstwerke verkauft. Zu den Unterhaltungsspezialisten im Kunstbusiness gehört auch Pipilotti Rist, die zweifellos über ein gewisses clowneskes Talent(21) verfügt. Mit ihrem Humor verfolgt sie eine mehrfache Strategie: indem sie sich im flippig bunten Umfeld von Popmusik und Videoclips bewegt, profiliert sie sich als eine Art Popstar. Sie agiert in einer Bildwelt, die an sich schon auf Humor, das heisst auf Belustigung angelegt ist. Zugleich überzeichnet sie diese Bildwelt, verfremdet sie satirisch und eigenwillig, womit sie der ästhetischen Normierung und Verflachung der Unterhaltungsindustrie eine Ausdrucksform abgewinnt, die im reizübersättigten Pluralismus der Postmoderne bestehen kann und gleichzeitig so etwas wie ein subversives trojanisches Pferd darstellt. Rist spielt mit, um das Spiel zu entlarven. Sie möchte „Spielverderberin“ sein. Diese Strategie hat freilich eine opportunistische Kehrseite. Kaum eine Video-Künstlerin ist so populär wie Rist, ihre Subversion hat Unterhaltungswert. Rists Humor nivelliert den Unterschied zwischen Eigensinn und Überanpassung. Letztlich ist nicht mehr auszumachen, ob das videastische Pop Art oder verkünstelter Pop ist. Die Grenzen werden verwischt. Wie verhalten sich hier E-Kunst und U-Kunst zueinander? Möchte Rist diesen Unterschied aufheben oder ihn besonders hervorheben, indem sie ihn akut macht? Und worin unterscheidet sie sich von einer Pop-Künstlerin wie Björk, die ein tatsächlicher Popstar ist und hochartifizielle Musikvideos herstellt? Was kann Videokunst, was Popmusik nicht kann? Jedenfalls benutzt Rist die Ästhetik der Spasskultur ganz offen und ungeniert, um sich durchzusetzen. Dies gelingt ihr vor allem deshalb, weil sie ausserhalb der E-Kunst andockt.

 

Für einen Künstler, der seine Bezugspunkte vowiegend innerhalb der E-Kunst sucht, stellt sich automatisch die Frage, ob man heute, da ja schon alles gemacht und hundertfach appropriiert ist, überhaupt noch originell sein kann. Der deutsche Performance-Künstler John Bock beweist, dass dies durchaus noch möglich ist. Seine nicht nur performative, sondern auch theatralisch-poetische, filmische und installative Kunst mit ihren Anklängen an Slapstick, Wanderzirkus, Dada, Artaud, Ionesco, Schwitters, Surrealismus, Beuys, Wiener Aktionismus und Popkultur ist eine wilde und kaum noch zu klassifizierende Entgrenzung im Sinne einer Ars combinatoria. Der Kritiker Jens Hoffmann beschreibt Bock als „eine Kreuzung zwischen dem anarchischen, aber zutiefst melancholischen Harpo Marx und dem Kraftmenschen Kurt Schwitters.“(22) Mit Schwitters(23) teilt Bock, nebst dem Wortwitz, die manische Neigung zum Gesamtkunstwerk sowie die ganzheitliche Lebensphilosophie, die dem alles umgreifenden Kunstausdruck zugrunde liegt. Auch Beuys ist da nicht weit: Bock ist ein Künstler, der gerne redet, Vorträge hält, Theorien erläutert, das Publikum erzieht. Bocks Lehrveranstaltungen sind jedoch derart überdreht, dass sie das Publikum überfordern. Die Didaktik, die Bock vorgaukelt, ist ein organisiertes Chaos. In einer Art Donquichotterie des Verkündens und Vorspielens einer grossen künstlerischen Geste wischt er die Kunstgeschichte aus und potenziert die eigenen Möglichkeiten ins Uferlose. Bock ist ein Beispiel für das „kreative Missverstehen“(24) älterer Kunstformen und die Produktivität von Wiederholungen. So gesehen, ist seine Kunst nicht einfach nur ein eklektizistisches Total-Theater, sondern auch ein Nachstellen und Neubeleben moderner Kunst-Riten, die Bock als ein zeitgemässes Mittel zur Selbstsuche und Selbstentgrenzung einsetzt. Obwohl er sich als Kunsttheorie-Verwurster, Kunst-Clown und Slapstick-Performer präsentiert, liefert Bock keine Kunstparodie ab. Es ist auch nicht seine Absicht, die Leute zu unterhalten oder zu belustigen. Er ist kein Comedian oder Slam-Poet. Seine Komik resultiert aus der Abgehobenheit eines künstlerischen Agierens, das sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt, was ein Künstler im Bereich seiner ganz eigenen Wirkmächtigkeit überhaupt noch ausrichten kann. Gibt es für den Künstler überhaupt noch etwas zu tun? Ja, sagt uns Bock, es gibt für den Künstler sehr wohl noch etwas zu tun, nämlich das Maximum. Und so zündet Bock seine kreativen Tischbomben. Er laboriert an alltäglichen Dingen herum, funktioniert Ramschobjekte zu Zauberutensilien und Pseudo-Apparaturen um, führt slapstickartige Stuntaktionen durch, und bei alledem spult er seine Stegreif-Theorien ab, ob sie nun zur Sache passen oder nicht. Es ist die totale Entgrenzung, ein Spektakel des Herumwurstelns. Jedes Mittel ist Bock recht, um dorthin zu gelangen, wo der Künstler noch der grosse Zauberer und Verzauberer sein darf. Freilich ist das nur ein Spiel. Ein Spiel, das die Wehmut eines Nachspiels in sich trägt. Der Künstler des beginnenden 21. Jahrhunderts kennt seinen Platz ganz genau. Spielt er mit avantgardistischen Versatzstücken, so macht er sich zum Avantgarde-Clown, respektive Avantgarde-Klon. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander. Damit verfolgt Bock eine uralte humoristische Strategie. Es ist ein Humor des kalkulierten Scheiterns, der Selbstrelativierung.

 

 

 

1 D. Morris, britischer Verhaltensforscher, Der nackte Affe, 1967, Der Mensch, mit dem wir leben,1977

 

2 Aristophanes Komödie „Die Vögel“ handelt von einem Musterstaat, der von Vögeln regiert wird.

 

3 M. Douglas, Implicit Meanings. Essays in Anthropoly, London 1975

 

4 Jan Bremmer und Herman Roodenburg (Hrsg.): A Cultural History of Humour, Polity Press 1997

 

5 Beispiele: G. Flaubert, Bouvard et Pecouchet oder S. Beckett, Warten auf Godot

 

6 Symbolismus, Suprematismus, Konstruktivismus u.a.

 

7 Interessant sind die Parallelen zwischen Dada und Fasnachtsbräuchen.

 

8 Zitat aus Kammerlohr, Epochen der Kunst, Oldenburg 1995

 

9 Duchamp: „Ironie ist ein spielsamer Weg, um etwas zu akzeptieren. Meine Ironie ist die Ironie der Indifferenz. Sie ist Meta-Ironie.“ Sandro Bocola, Die Kunst der Moderne, Prestel 1997

 

10 Carola Giedion-Welcker, Klee, Rowohlt-Monographie, 2000, S. 66

 

11 Eine Kritik Gert Gliewes von 1991/Kammerlohr, Epochen der Kunst, Oldenburg 1995

 

12 Zitat aus Dempsey, Amy, Stile, Schulen, Bewegungen, E.A. Seemann 2002

 

13 Andreas Urs Sommer, Die Kunst, selber zu denken, Eichborn, 2003

 

14 Das Zitat stammt aus einem Interview. Auf die Frage, warum er in seinen Zahlenbildern eine bestimmte Sorte schablonierter Lettern verwendet habe, antwortete Johns: „Weil sie so sind, wie sie sind.“ Richard Francis, Jasper Johns, Bücher 1985

 

15 Zitat von Jasper Johns/Richard Francis, Jasper Johns, Bücher 1985

 

16 Zitat von Claes Oldenburg/Tilman Osterwold, Pop Art, Taschen 1999

 

17 Zitat von Claes Oldenburg/Katalog der Kunsthalle Tübingen und des Kunstmuseums Basel

 

18 Sigmund Freud, Schriften über Kunst und Künstler, Gesammelte Werke, Fischer 1963

 

19 Beispiele: Fischli & Weiss, K. Sander, S. Fleury, Kawamata etc.: Meanstream-Kunst?

 

20 Wolfgang Ullrich, Tiefer hängen, Über den Umgang mit der Kunst, Wagenbach, 2003

 

21 Meiner Meinung nach ist P. Rist der begabteste weibliche Clown seit Giulietta Masina. Auffallend in diesem Zusammenhang ist, dass es nur wenige überzeugende Komikerinnen gibt. Männer sind im allgemeinen komischer, vielleicht weil sie äusserlich (!) eine gewisse Ähnlichkeit mit Primaten haben. Friedrich Schiller hat „Anmut“ nur den Frauen zugestanden, sicher nicht grundlos.

 

22 Parkett, No.67, 2003, Parkett-Verlag AG, Zürich

 

23 Schwitters: „Was ist der Unterschied zwischen einem Künstler und einem Kritiker? Der Künstler schafft und der Kritiker schaft.“

 

24 Daniel Birnbaum, Parkett, No. 67, 2003, Parkett-Verlag AG, Zürich. Zitat: „Er (John Bock) ist ein wunderbares Beispiel für das kreative Missverstehen von Beuys und anderen.“

 

 

 

Semesterarbeit HGK Basel, 2004